: Nachschlag
■ „Wieviel Tanztheater braucht die Metropole?“
Zum ersten Mal wurde auf dem Theatertreffen mit dieser Fragestellung eine kulturpolitische Diskussion zum Thema Tanz geführt. Ein Zeichen zweifellos für die wachsende Bedeutung des Tanzes, aber leider auch für die immer noch desolate Lage: Der Tanz ist das Stiefkind der Kulturszene. Mittelschwer betoniert ist die Situation in der Stadt Berlin: Den drei Ballettkompagnien (!) an drei Opernhäusern (!) mit allesamt eher klassisch-konservativer Ausrichtung steht auf Seite des zeitgenössischen Tanzes nur die Off-Szene gegenüber. Der Vorschlag, an eines der großen Häuser statt Ballett eine Kompagnie für modernen Tanz einzurichten, ist bei den Opernintendanten auf Ablehnung gestoßen. Eine Haltung, die mit zunehmendem Unverständnis kommentiert wird. Ivan Nagel brachte es auf den Punkt: „Wem geht als erstes die Puste aus?“ – Konkurrenz als Wettlauf in den künstlerischen Bankrott.
Demgegenüber stehen die Pläne der Volksbühne, Johann Kresnik und sein Ensemble fest an ihr Haus zu binden. Gesichert ist bis jetzt allerdings nur die Gastspielproduktion „Rosa Luxemburg“ für den Beginn der kommenden Spielzeit (Choreographie: Kresnik, Buch: George Tabori). Kein Theaterregisseur, sondern das Tanztheater der Pina Bausch habe seine eigene Theaterarbeit am nachhaltigsten beeinflußt, so Frank Castorf. So ist die künstlerische Zusammenarbeit mit Kresnik sein ausdrücklicher Wunsch, und für Berlin ist das vielleicht eine einmalige Chance in doppelter Hinsicht: Mit Kresnik wäre endlich sein erster großer Schritt aus der derzeitig festgefahrenen Situation getan, das Gespann Castorf/Kresnik könnte ein Aufbruch zu neuen Ufern sein. Etwa ein bis zwei Millionen Mark würde die Volksbühne als Zweitspartenhaus jährlich zusätzlich kosten – daran könnte das Projekt möglicherweise scheitern. Winfried Sühle, Staatssekretär im Kultursenat für kulturelle Angelegenheiten, hält Kresniks Zuwanderung nach Berlin für kulturpolitisch wünschenswert, aber: Die Finanzierung ist ein Problem. Ein Problem, das sich bald von selbst lösen könnte, denn ewig kann Kresnik nicht warten. Für die Spielzeit 94/95 ist der Standortwechsel geplant, und Kresnik steht mit seiner dreißigköpfigen Truppe in einer zu großen Verantwortung, als das er alles bis zuletzt in der Schwebe lassen könnte. Angebote von anderen Städten soll es geben.
Der Kultursenator mit seinen 18 Staatstheatern sei „der größte Theaterunternehmer der westlichen Welt“, so Ivan Nagel, der Komplex könne nur angemessen gelenkt werden, wenn kulturpolitisch die künstlerische Phantasie einen gewissen Raum hat. „Die Mittel sind immer noch riesig, die Frage ist, wie flexibel mit ihnen umgegangen wird.“
Zweifellos kann man die Opernintendanten zu keiner künstlerischen Umorientierung zwingen, doch wie lange man das Hase- Igel-Spiel bei noch unklar verteilten Rollen subventionieren sollte, ist in der derzeitigen Lage eine wohl angebrachte Frage. Michaela Schlagenwerth
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