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Weißes Land voll Salz und Baumwolle

Die kompromißlose Monokultivierung brachte Turkmenistan eine ökologische Katastrophe / Dafür gibt es in der früheren Sowjetrepublik nun eine neue Ideologie: den Turkmenismus  ■ Aus Aschchabad Klaus-Helge Donath

Ein weißes Wolkenband trennt die schroffen Gipfel des Kopet Dagh von ihren sanften grünen Ausläufern. Sie liegen schon auf dem Territorium Turkmenistans, ihre massiven Hintermänner schützten ehemals den Iran vor der Welt der Gottlosen. Damals, als Turkmeniens Wüsten noch der südlichste Teil der Sowjetunion war. Damals, als die endlosen Steppen Mittelasiens den Propheten des neuen Zeitalters als Schlachtfeld gegen die Natur dienten.

Ein dünner Film schleift auf den Zähnen. Er schmeckt bitter. Wüstensand kann es nicht sein. Es sind die Partikel des weißen „Wolken“bandes, die es heute bis in die 40 Kilometer entfernte Hauptstadt Aschchabad geweht hat. Staub aus der Zementfabrik „Sozialismus“, die je nach Windrichtung verschiedene Teile des Landes mit einem bitterweißen Zuckerguß überzieht. Amerikaner sollen vorgeschlagen haben, eine Filteranlage zu installieren. Vergeblich. Erst Zement und Sand mischen sich zu jenem Stoff, aus dem die Politiker hier sind: Beton.

Unendlich und schnurgerade zieht sich die Straße durch die Wüste Richtung Westen. Sie ist die einzige Verbindung zwischen Aschchabad und der Industriestadt Krasnowodsk am Kaspischen Meer. Menschen gibt es kaum in Turkmenistan, nur 3,7 Millionen Einwohner verlieren sich auf 490.000 Quadratkilometern. 85 Prozent des Landes bedeckt die „Kara Kum“-Wüste. Die Hälfte der Siedler sind Turkmenen. Seit altersher waren sie Nomaden, die in Stammesgemeinschaften lebten. Bis auf den heutigen Tag prägt dieses Denken ihr Bewußtsein. Vierzig Kilometer westlich der Hauptstadt führt die Straße um die Kleinstadt Gök Tepe, dem einstmaligen Zentrum der Turkmenen, herum. 1881 verteidigten die Nomadenvölker ihre Unabhängigkeit gegen den russischen Zaren. Es half ihnen nichts. Zehntausende starben, und das Land wurde Russisch-Turkestan einverleibt.

Wird ein neuer Versuch unternommen, einen turkmenischen Nationalismus zu begründen, dann muß Gök Tepe jedesmal als wichtigstes Sinnbild herhalten. Der Sowjetunion gelang es nicht, eine turkmenische Nationenbildung zu fördern. Die Turkmenen leben weiter in ihren Stammesbezügen. Ruhig und stabil sei es im Land, verglichen mit anderen Nachfolgestaaten der UdSSR. Damit rühmt sich die politische Führung, ausländische Beobachter bestätigen es obendrein. Doch die unbeschreibliche Ruhe hat etwas Trügerisches. Als wäre sie der Weite des Landes und seiner unterentwickelten Infrastruktur geschuldet, die die Stämme noch voneinander abhält.

Rivalisierende Clans, doch keine Opposition

Auf den Etagen der Macht hat sich seit den Tagen des Kommunismus wenig geändert. Saparmurad Nijasow wechselte nur seine Amtsbezeichnung: vom Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei zum Präsidenten. Allerdings besorgte er sich die notwendige Legitimation. Bei Präsidentenwahlen erntete er 98 Prozent, noch 1992. Dem Kokon der KP entschlüpfte im Dezember 91 die Demokratische Partei. Nennenswerte Opposition hat sich nie geregt. Und das, was sich an den Rändern der Gesellschaft zaghaft rührte, wurde von Nijasow und seinem Regime abgewürgt.

Als Präsident richtete Nijasow einen Ältestenrat ein. Ihm gehören Mitglieder der einzelnen Clans an. Der Rat trifft sich einmal im Jahr. Er ist ein bloßes Akklamationsorgan. Dennoch kommt ihm eine wichtige Aufgabe zu, indem er die Claninteressen neutralisiert und jedem die Illusion auf Partizipation erhält. Parteien außer den geschlüpften Demokraten gibt es nicht. Nijasow, dessen Porträt jede Zeitung jeden Tag auf fast jeder Seite ziert, begründet es ganz einfach und ohne Scham: „Je mehr Opposition, um so mehr demokratische Rechte und Freiheiten. Das mag für die europäischen Staaten stimmen. Für die Gesellschaften des Ostens sind eine starke Macht und funktionierende Gesetze ein notwendiges Charakteristikum.“ Würde mehr Demokratie gewagt – so ist zu hören –, zerbräche das Land an seinen rivalisierenden Clans.

Hinter Gök Tepe säumt die Straße beidseitig ein dünner weißer Rand: „Chlopok“ – Baumwolle, ihre Samenhaare. Tonnenweise müssen sie hier herumliegen. „Eine Verschwendung“, Wolodja kann sich gar nicht beruhigen. Er gehört zu den 9,5 Prozent Russen, die vor allem in den Städten leben. Nach der Armee hat es ihn hier gehalten. Doch nun weiß er nicht, wie lange man die Russen noch in Turkmenistan dulden wird. Und so antwortet er mit Vorsicht, über Politik kreiste er nur in unverfänglichen Allgemeinplätzen. Dann aber wird er doch deutlich: „In Usbekistan findest du so eine Verschwendung nicht, die halten Ordnung. Die Turkmenen sind faul. Sie decken die Ladungen nicht richtig ab. Aber wen stört es hier schon?“ Und tatsächlich kommt ein Laster entgegen, seine Plane flattert wütend im Fahrtwind. Üppige Wollknäuel ringen mit dem Wind. Bis sie schließlich davonsegeln.

Das weiße Gold, die Baumwolle, hat Turkmenistan in eine ökologische Katastrophe gestürzt. Während der Sowjetzeit wurde das megalomanische Projekt in Angriff genommen, die Wüste für den Baumwollanbau zu bewässern. Man schaufelte einen Kanal vom Amu Darja, dem antiken Oxus, im äußersten Nordosten des Landes quer durch die Wüsten Richtung Westen. Zwei Meter hohe Sandwälle säumen das Flußbett. Man befestigte sie nicht. Leichtes Spiel für die Erosion. Von der Hauptstadt aus verläuft das Kanalbett parallel zur Straße. Irgendwann einmal soll es in Krasnowodsk in die Kaspisee stoßen. Der Amu Darja ist die Lebensader Zentralasiens. Aus den Bergen Afghanistans mündet er in Usbekistan in den Aralsee. Das Kanalprojekt führte zur Austrocknung des Sees. Hundert Kilometer wich er in zwanzig Jahren zurück.

Die Sowjets betrieben eine kompromißlose Monokultivierung in Turkmenistan. 15 Prozent der Gesamtproduktion an Baumwolle in der UdSSR stammte von hier. Turkmenistan diente als Rohstofflieferant, weiterverarbeitende Fabriken wurden nicht angesiedelt. Umzäunter Baugrund und Firmenschilder am Pistenrand zeugen davon, daß sich auf diesem Gebiet ein wenig bewegt. Die risikofreudigen Unternehmen kommen meist aus der Türkei.

Beim Anflug auf Turkmenistan aus westlicher Richtung scheinen die rießigen weißen Felder kein Ende zu nehmen. Doch um Baumwolle handelt es sich diesmal nicht, und auch Schnee kann es in dieser Jahreszeit nicht sein. Richtung Aschchabad verwandeln sich die Felder in Fleckenteppiche. Wohin das Auge reicht, Salz. Folgen der Bewässerungspolitik, die auch noch das kleine fünfzehntausend Quadratkilometer umfassende Ackerbaugebiet bedrohen. Turkmenistan ist gezwungen, vier Fünftel seiner Nahrungsmittel zu importieren. Außer dem Salz hat der unkontrollierte Umgang mit Pestiziden und Herbiziden Boden und Trinkwasser verseucht. Epidemien, Diarrhöe und hohe Sterblichkeitszahlen bedrohen die Bevölkerung, von der überhaupt nur ein Fünftel an fließend Wasser und Kanalisation hängt.

Der stellvertretende Gesundheitsminister macht kein Hehl aus der miserablen Lage. Aber auch er ist ängstlich, möchte nicht zuviel sagen. Irgendwann mag es auf ihn zurückfallen. „Ja, die Kindersterblichkeitsrate ist ziemlich hoch.“ Im nördlichen Rajon Taschausk starben 1986 noch 76 Kinder auf 1.000 Geburten. Heute sind es noch 52,9. Man bemühe sich, die Gründe zu finden und Schuldige zu bestrafen. Wie die Reduzierung zustande kam, kann er nicht erklären. Statistiken lassen sich manipulieren.

Den Preis der Frau bestimmt ihre Arbeitsqualität

Endlich Bacharden, hundert Kilometer westlich Aschchabads. Die kleine Stadt ist berühmt für ihre handgewebten Teppiche. In den letzten Jahren hat ihre Produktion wieder zugenommen. Sie sind ein einträgliches Geschäft, gerade für den Export. Zumal Frauen sie weben. In der Hocke sitzen sie im Vorraum der Häuser vor ihren Webbrettern. Schüchtern schauen sie auf. Außer Arbeit haben sie sonst nicht viel zu melden. Der Kaufpreis einer Frau bestimmt sich immer noch nach ihren Arbeitsqualitäten. Je mehr Bildung, desto günstiger ist sie zu haben. Als der Wagen auf dem staubigen Knüppelweg hält, springt eine Horde Kinder heran. Teppiche? Man wird ins Haus gebeten. Telefonisch wird das Sippenoberhaupt informiert, denn er verwaltet die gesamte Produktion. Seine Söhne schleppen Buchara-Teppiche in allen Größen heran. Sapur ist auf ein gutes Geschäft eingestellt, gleich auf Dollarbasis. Dann lädt er in sein richtiges Haus ein. Seine Frauen bringen einen Riesenteller Kartoffeln und Hammelfleisch und gehen gleich wieder. Im Wohnzimmer sind sie nicht geduldet. Das Essen wird in die Mitte der Gäste auf den Boden gestellt. Alle bedienen sich aus einem Napf. „Nun greift schon zu, ihr Europäer eßt einfach zu wenig!“ fordert er immer wieder auf. Mit Ende 50 ist Sapur ein gemachter Mann. Gedarbt hat er nie. Früher verwaltete er das zentrale Möbellager der Stadt, und sein enger Verwandter diente der KP als Erster Sekretär im Bezirk. Im Hof stehen Kühe, und Truthähne hüpfen herum.

Politik? „Egal wer an der Macht war, wir haben immer gut gelebt“, meint er freimütig, während er an seinem japanischen Kalkulator rumspielt, der englisch zählt. „Ist doch Englisch oder?“ Er braucht ihn für den Markt in Aschchabad. Um Politik kümmert er sich nicht weiter. Sie war immer eine nachgeordnete Frage, nur insoweit wichtig, wie sie das materielle Wohl berührte. Sapur ist ein gerissener Hund. Der Präsident? Er lacht vieldeutig. Zur Arbeit in die Kolchose schickt er seine Familie nur, um billig an die Zuteilungen zu kommen. Denn das Geld macht man woanders.

Drei Stunden macht sich die Brigade schon an dem neuen Schild zu schaffen. Heute wird die Kolchose ihren Namen ändern. Bislang nannte sie sich Ernst Thälmann. Doch damit ist es vorbei. Nun wird sie ein Konterfei des Sapamurad Turkmenbaschi schmücken – des Führers aller Turkmenen. So läßt sich Präsident Nijasow preisen. Auch die Hauptstraße Aschchabads (vormals Leninboulevard) führt heute seinen Namen. Vor dem Bahnhof wird ein Denkmal in Überlebensgröße entstehen. Und wie heißt der Karakum oder Leninkanal? Richtig ... Er trägt den Namen des ersten Preisträgers des Nijasowpreises: Nijasow. So muß es sein, meint Nijasow, denn Turkmenistan liegt im Osten, und da hilft nur ein Führer.

Der Präsident hat seinem Volk außer dem neuen „Turkmenismus“ ein verheißungsvolles Programm verordnet: „Zehn Jahre des Glücks“. Andere taten es schon vor ihm. Das Volk nahm es jeweils hin und machte weiter wie eh. Die Ruhe der Republik, sagt der zweite Sekretär des Schriftstellerverbandes, hänge auch damit zusammen, daß die Intelligenz von Nijasow überzeugt sei. Sei dem so. Doch was gedenkt der Präsident mit der Milliarde Dollar des Turkmenistan-Nijasow-Entwicklungsfonds auf Westkonten zu tun? Diese Frage verbietet sich. Der Präsident hat immer eine weiße Weste und meistens auch ein weißes Dach ...

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