: Nachschlag
■ Geschichtsunterricht in der Literaturwerkstatt
Flugübungen auf selbstgelegtem Leimband: Kulturpolitische Schauprozeduren waren in der DDR der siebziger Jahre durchaus überflüssig, wurden aber dennoch aufwendig geplant und durchgeführt. Zuletzt 1979, als Stefan Heym seinen Roman „Collin“ in Westdeutschland veröffentlichte und deshalb in einem sogenannten Devisenverfahren zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Acht Schriftsteller protestierten daraufhin beim Staatsratsvorsitzenden; es kam keine Antwort, und die DDR- Bürger erfuhren die Geschichte aus der „Tagesschau“. Acht protestierende Schriftsteller bilden eine staatsfeindliche Gruppe: Wirbel im Schriftstellerverband (Ost). Wer mit dem Klassenfeind paktiert, muß bestraft werden. Daß damit verlorenes Prestige nicht zurückgewonnen werden konnte, fiel den Kulturarbeitern nicht auf. Sie veranstalteten auf einer Schriftstellerversammlung in Ost-Berlin ein ausgesucht peinliches Spektakel, um die abtrünnigen Mitglieder auszuschließen.
Wie schon die Biermann-Ausweisung drei Jahre zuvor, stand die Aktion der kulturpolitischen Generallinie der Honecker-Ära entgegen. Staatssicherheitsminister Mielke hatte nach dem 8.Parteitag 1972 angewiesen, daß Künstler anders zu behandeln seien als die übrigen Bürger. Prozeßrelevante Informationen sollten nur gesammelt, die Verfahren aber nicht angestrengt werden – so wenig Aufsehen wie möglich. Die Genossen übten den neuen Kurs allerdings erfolglos, und es gelang auch nicht mehr, der ungeliebten Öffentlichkeit wenigstens eindrucksvolle Machtdemonstrationen vorzuführen. Immerhin sechzig der vierhundert Berliner Autoren stimmten am 23. Mai 1979 gegen den Ausschluß ihrer Kollegen; der Bezirksverband Leipzig lehnte den Ausschluß von Erich Loest sogar ab.
Der Schriftsteller Joachim Walther hat in den Archiven von SED, MfS und Schriftstellerverband die Dokumente zusammengesucht und die Vorgeschichte rekonstruiert: Details zum Machtkampf. Friederike Freier
Joachim Walthers Film „Die Amputation“ läuft heute um 20 Uhr in der Literaturwerkstatt Pankow, Majakowskiring 46.
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