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Short Stories from AmericaFragen Sie Frau Betty

■ Zur Verbesserung des Menschengeschlechts mit den Mitteln der Masturbation

Meine Freundin Betty Dodson hat ein Buch übers Masturbieren geschrieben. Es ist auch auf deutsch erschienen – unter dem Titel „Sex for one: Die Lust am eigenen Körper“. Betty behauptet, das täten alle – inzwischen wären bei Frauen Sehnenscheidenentzündungen am Handgelenk schon ganz normal. Zuviel Vibrator, sagt Betty. Und ich habe immer meinen Freundinnen geglaubt, wenn sie sagten, sie hätten sich das von zuviel Arbeit am Computer geholt.

Außer ihren sachdienlichen Informationen hat Betty auch eine Theorie über Masturbieren und Politik zu bieten: wenn die Leute sich mehr ans erstere hielten, hätten wir mit dem zweiten weniger Ärger. Die Entspannung, sagt sie, hält die Leute davon ab, übereinander herzufallen, und das klingt ausgesprochen vernünftig. Bei Hunden habe ich das funktionieren sehen, aber das ist ja auch eine weit weniger aggressive Gattung.

Mit Bettys Rezept im Hinterkopf habe ich mir die Politik um mich herum mal genauer angesehen. So umschrieben wirkt sie gar nicht so übel, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ich habe mir eine Liste der Schlagzeilen-Themen angelegt, die gelöst werden könnten, wenn sich die Leute besser entspannten. Der Dauerbrenner zur Zeit sind die Schwulen beim Militär. Die beschäftigen die größeren Tageszeitungen schon seit Monaten. Letzte Woche brachte die New York Times einen Sonderbericht über Lesben beim Militär (wobei ich erfuhr, daß Lesben in den letzten zehn Jahren dreimal häufiger aus der Armee entlassen wurden als homosexuelle Männer). Artikel über Homosexuelle in der Armee werden oft mit anderen Schwulengeschichten zusammengepackt, wie der Artikel über Vermont, wo Schwule das Recht zur Adoption von Kindern haben, oder über Hawaii, wo die Legalisierung homosexueller Ehen erwogen wird, oder die neueste Schöpfung im Staate New York, wo ein „Büro für Wohnungspartner“ geschaffen wurde, bei dem sich Homosexuelle einschreiben und dadurch einige der Rechte von Ehepaaren erwerben können. Auf diese Nachrichtenschnipsel folgen laute Proteste von rechts: 1. dagegen, daß unsere Kinder in Homosexuellenkreise gelockt werden, 2. gegen die moralische Verkommenheit der Nation und 3. Tiraden über die Notwendigkeit, viel Geld zu sammeln für den Kampf gegen 1. Und 2. Und dann ist wieder ein Artikel über die Schwulen in der Armee fällig.

So wie Betty das sieht, würden sich heterosexuelle Soldaten weniger Sorgen über die Entspannung von schwulen Soldaten machen, wenn sie sich selbst fleißiger entspannten – und schon wäre es vorbei mit den Schlagzeilen über die Schwulen beim Militär.

In der letzten Zeit wurde die New Yorker Presse von den Wahlen zu den Schulbehörden beherrscht. Normalerweise Füllmaterial für die Seite 137, rauschten die Wahlen auf die Seite eins, als die protestantischen Fundamentalisten sich mit der katholischen Erzdiözese zu einer Massenkampagne für konservative Kandidaten zusammentaten. Die wichtigsten Themen lauten: Toleranz gegenüber Homosexuellen im Familienunterricht und Kondome für die Schüler. Wenn man Betty glauben will, würden sich die protestantischen und katholischen Erwachsenen weniger Sorgen über die Teenager machen, wenn sie sich fleißiger entspannten. Und wenn die Teenager sich fleißiger entspannten, bräuchten sie weniger Kondome – und schon wäre es vorbei mit den Artikeln über die Schulbehörden.

Knapp geschlagen folgten in New York die Proteste aus Wohnvierteln gegen die Oben- ohne-Tanzbars. In Manhattan, Brooklyn und Queens sind die Leute auf die Straße gegangen, um diesen Müll zu beseitigen, damit er Kindern und Grundstückspreisen nicht allzusehr schaden kann. Besonders interessant waren die Proteste in Queens. Die Oben-ohne-Bar, die dort in der Schußlinie steht, zeigt überhaupt nichts Nacktes nach außen, weder im Fenster noch auf der Tür – von der Straße aus ist absolut nichts zu sehen. Seit der Eröffnung gab es keinerlei Beschwerden oder Schlägereien, keinen Lärm, keine Ruhestörung, keine Übertretung der Bestimmungen über Hygiene oder Alkoholausschank. Sie wurde in den Räumen einer ehemaligen Disco eröffnet, wo die Polizei so oft wegen Schlägereien drinnen und draußen zum Einsatz kam, daß der Schuppen als Nachbarschaftsrisiko geschlossen werden mußte. Die Anwohner beklagten sich niemals über die Disco, aber gegen die Oben-ohne-Bar gehen sie auf die Barrikaden, und wenn Betty recht hat, würden sich die Leute in Queens weniger darüber aufregen, was die Männer in einer Oben-ohne- Bar zu sehen kriegen, wenn sie sich daheim selbst fleißiger entspannen würden. Und schon wäre Schluß mit den Artikeln über die Oben-ohne-Bars.

Das Problem mit Bettys Lösung ist: Die amerikanische Presse müßte zumachen.

Und schließlich ist seit letztem Oktober immer mal wieder die Geschichte über die Seite 1 gehuscht, wie ein paar Matrosen einen schwulen Bordkameraden totschlugen, als ihr Schiff in Tokio ankerte. Sie schlugen so heftig auf ihn ein, daß er nicht identifiziert werden konnte, als die Leiche gefunden wurde. Zwei Matrosen gaben ihre Täterschaft zu, und einer berief sich auf mildernde Umstände – das Opfer habe ihn sexuell belästigt. Das Militärgericht wird ihm dies möglicherweise abnehmen. Betty meint, wenn heterosexuelle Matrosen sich fleißiger entspannten, würden sie sich weniger Sorgen um schwule Kameraden machen. So wie ich das sehe, läßt sich diese Art Gewalt durch Entspannung nicht aus der Welt schaffen. Sie soll gar nicht aus der Welt geschafft werden – Frauen sollten sie mal ausprobieren, wenn sie sexuell belästigt werden, und dann werden ihnen die Gerichte mildernde Umstände zubilligen. Da habe ich überhaupt keine Zweifel. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

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