piwik no script img

Staatstragendes Sicherheitsdesign

Ortsbesichtigung: Die „Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße“ in der alten Stasi-Zentrale  ■ Von Friederike Freier

Auf den Seiten im Buch des Ruhms / werden die Namen sein / all der Mutigen, die wir nicht, / heute noch nicht nennen.

(sowjetischer Tschekisten-Song, deutsch von Markus Wolf)

Nix Buch, nix Ruhm. Ätsch. Kindische Schadenfreude: Jedesmal, wenn ich durch gigantomanische Einrichtungen des vergangenen Staates laufe, komme ich mir vor wie ein Grimmsches Geißlein am Brunnen (obwohl ich den „Wolf“ nur aus der Ferne kannte). Von der Frankfurter Allee her hüpfe ich durch Tor 11 der ehemaligen Stasi- Zentrale im Ostberliner Bezirk Lichtenberg und singe Agitprop- Schinken vor mich hin. Tschekist, das will ich sein wie er / Dem Volk ein treuer Sohn / Mi-hit Kopf und Herz u-hund Hand ich wehr' / Der Konterrevolution.

Die Bauten für die Kämpfer gegen die Konterrevolution mußten riesig sein, anonym, hermetisch abgeriegelt und – berüchtigt. Diffuse Angst war denn auch die in der DDR meistgebrauchte Entschuldigung für Opportunismus. Den Genossen des MfS konnte nur recht sein, daß sie gefürchtet waren wie das Böse schlechthin. Dagegen suggerierte die Anbindung an das Zentrum der Stadt Kontakt zum Volk – die Stalin-Marx-Frankfurter Allee führt vom Alexanderplatz schnurgerade zur Lichtenberger MfS-Zentrale.

Sicherungstechnik als Zeichen der Macht: Die Normannenstraße war mit Eisentoren abgeriegelt, durch Magdalenen- und Ruschestraße durfte kein Auto fahren. In den umstehenden Wohnblöcken wohnten Mitarbeiter des Ministeriums. Das Unheimliche wurde gepflegt. Sein Mythos gehörte zum konspirativen Handwerkszeug und richtete sich auch gegen die eigenen Mitarbeiter. Die Stasi-Zentrale war von einer Mauer umgeben; innen gab es gleichfalls Zäune, Absperrungen, gesondert abgeschirmte Bereiche – die Rechte darf nicht wissen, was die Linke tut.

Das Tor, durch das ich das Areal betrete, ist im typischen Sicherheits-Design gehalten – gefaltetes Stahlblech, dunkelbraun gestrichen. Es steht halb offen, an den Ecken platzt die Farbe ab. Im Hof verstellen linker Hand Betonklötze aus den siebziger Jahren den Blick nach draußen. Hier war die „Hauptverwaltung Aufklärung“ untergebracht, heute residiert die Reichsbahndirektion darin. Rechts stehen Wohnhäuser aus den dreißiger Jahren, deren Mieter umziehen mußten, damit das Geviert dem MfS für zur Verfügung war.

In der Normannenstraße, an der gegenüberliegenden Seite des ineinander verschachtelten Komplexes, stand bis 1978 noch eine Kirche. Sie wurde gesprengt wie vorher schon eine denkmalgeschützte Häuserzeile des Bauhaus-Architekten Bruno Taut. An die Stelle der Kirche setzte das MfS einen Versorgungs- und Konferenztrakt. Der überdimensionale Bau besitzt als einziges Gebäude des Ensembles große Fenster, durch die man allerdings von außen nichts sehen kann – sie beginnen etwa vier Meter über dem Erdboden und sind außerdem rötlichbraun verspiegelt. Auch der Eingang ist nicht recht zu sehen – er liegt erhöht.

Vom gegenüberliegenden Haus Normannenstraße/Ecke Magdalenenstraße begann sich die Zentrale des MfS seit seiner Gründung 1950 auszudehnen. Früher beherbergte es ein Finanzamt (und heute wieder). In einem separaten Anbau aus dem Jahre 1960 hatten Erich Mielke, seit 1957 Minister für Staatssicherheit, und einige seiner engsten Mitarbeiter ihr Büro. Sehen, ohne gesehen zu werden – eine Sichtblende verdeckt den Eingang zum Haus 1, überdimensioniertes ornamentales Zierwerk aus Betonbauteilen. An der Seite hängt ein schlichtes Schild: Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße“. Der Name ist am Runden Tisch ausgesucht worden, nachdem am 15. Januar 1990 Demonstranten die Normannenstraße besetzt hatten – einer der wenigen Symbolismen während des Umbruchs in der DDR. Jetzt sind die unteren drei Etagen des Hauses Museum und Bildungsstätte, betreut vom Verein „Antistalinistische Aktion“ (Astak). Kurz nach den Wahlen im März 1990 bekamen Kultus- und Innenminister der DDR vom Ministerrat den Auftrag, für eine Gedenkstätte zu sorgen. Die Minister ließen sich Zeit, und das Bürgerkomitee der Normannenstraße wurde ungeduldig. Einige seiner Mitglieder gündeten daraufhin die Astak und begannen, eine Ausstellung zu planen.

Jörg Drieselmann, Geschäftsführer des Vereins, hat sein Büro direkt über der „Mielke-Etage“. Telefone und Computer sind neu, der Rest ist ganz normaler DDR- Büro-Standard. „Original“ ist das Wort, das Drieselmann am häufigsten verwendet. Die Räume der Stasi-Größen würde er am liebsten überhaupt nicht verändern, schon die Schautafeln im Foyer stören ihn, weil sie die einstige Pförtnerloge verstellen. Und er ist unzufrieden: Die Dauerausstellung ist ein Provisorium und wurde seit November 1990 zwar immer wieder ergänzt, aber nicht grundsätzlich neu gestaltet. Sie folgt keinem Konzept, sondern ist Stückwerk: In einem Raum sind Zeitungsausschnitte und Dokumente versammelt, die von Zwangsumsiedlungen aus dem Grenzgebiet zur Bundesrepublik berichten. Ein anderer erinnert an Internierung und Deportationen nach 1945; ein dritter schildert Biografien von Opfern politischer Justiz. Ansonsten gibt es reichlich Originale – Einrichtung und Arbeitsgeräte der Staatssicherheit, die den Größenwahn der Macht konterkarieren: Zwei Räume, vollgestopft mit Devotionalien. Die Köpfe sämtlicher Arbeiterführer in Gips und Goldbronze. Ein Pieck-Abguß steht auf der oberen Ecke eines Hartfaserplattenschranks und reckt die Knubbelnase in die Luft. Es riecht stickig wie in den meisten öffentlichen Gebäuden der DDR, nach Putzmittel und Staub, der sich in den dicken Kunstfasergardinen sammelt.

Im Casino neben dem Konferenzraum ist eine Bar eingerichtet. Das Angebot ist preiswert und die Einrichtung original: Der goldglänzende Kleiderständer ist ebenso häßlich wie die Kunstledersessel mit Dederon-Bezug. Aber sie drehen sich und sind bequem. Ich bekomme den neuesten Pressespiegel in die Hand und Videos vorgeführt. Sascha Anderson und die Stasi, Pfarrer Gartenschläger und die Stasi, ein Bericht von der Akteneinsicht im Nachbarhaus, in dem 12 Kilometer Akten lagern.

„Das hier ist ein Bürgerprojekt; ich weiß kein besseres Wort dafür“, sagt Geschäftsführer Drieselmann. Er will weder ein Kuriositätenkabinett vorführen noch einen dämonischen Apparat. Ihm ist wichtig, daß die Besucher des Hauses über ihre Erfahrung mit der DDR reden, sich an ihre eigene Biografie erinnern. „Jeder, der hier gelebt hat, hat dazu beigetragen, daß diese Geschichte funktioniert hat. Unsere Mitarbeiterinnen beschweren sich oft, daß die Besucher immer die Fahnen anpatschen müssen. Ich hab' da gar nichts dagegen. Dinge anfassen zu können, das holt die Geschichte doch zurück ins Alltägliche.“ Erst dann könne jeder für sich beginnen, die eigene Biografie zu beleuchten, ohne dabei Verantwortung abzuschieben. Deshalb soll ein großer Abschnitt in der neuen Dauer- Ausstellung über die Geschichte der DDR hinausgehen und die öffentliche Debatte über die Staatssicherheit kritisch beleuchten.

Bis zu acht Gruppen pro Tag werden derzeit durch die Räume geführt. Was die provisorische Ausstellung nicht leisten kann, übernehmen die Angestellten der Astak. Der Verein, dessen Mitglieder vor allem aus der Bürgerbewegung stammen, hat die osttypische Förderungsgeschichte hinter sich. ABM, projektgebundene Mittel, zusätzlich Geld von der Gauck-Behörde. Eine Ausstellung zur Staatssicherheit gibt es neben Berlin nur noch in Leipzig – beide sind nur zustande gekommen, weil sich Bürgerkomitee bzw. Astak hartnäckig darum bemühten. Seit März steht Besuchern der Normannenstraße außerdem eine Spezial-Bibliothek zur Verfügung, mit Literatur über das Herrschaftssystem sowie MfS-internen Beständen.

Die dreizehn ABM-Stellen der Astak werden im Oktober endgültig gestrichen. Die Existenz der Gedenkstätte ist nicht gesichert. Noch fehlt auch das Geld, mit dem die neue Ausstellung gestaltet und Forschungsaufträge vergeben werden können. Wenn es da ist, soll es an diejenigen gezahlt werden, die neben fachlicher Kompetenz einen persönlichen Bezug zum Thema vorweisen können. Überschneidungen mit der Gauck-Behörde? Das findet jedenfalls Kultursenator Roloff-Momin, der sparen muß. Jörg Drieselmann lächelt: „Ich habe Vorbehalte, wenn eine einzige staatliche Behörde alle Aufgaben zugewiesen bekommt. Ich habe etwas gegen Monopolbildung. Und wenn Bürger schon mal die Ärmel hochkrempeln, dann sollte man sie nicht daran hindern.“ Friederike Freier

Die Ausstellung in der Forschungs- und Gedenkstätte ist wochentags von 11-18, am Wochenende von 14-18 Uhr geöffnet. Öffnungszeiten der Bibliothek bitte erfragen, Telefon: 6518408.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen