: Offener Brief an Kultursenatorin Christiane Weiss
■ Betr.: "Eine Besetzung der Gedenkstätte wird weiterhin nicht geduldet", 19.5.93
Betr.: „Eine Besetzung der Gedenkstätte wird weiterhin nicht geduldet“, 19. 5. 1993
Sehr geehrte Frau Dr. Weiß!
In dem Interview rechtfertigen Sie Ihre Entscheidung, eine längerfristige Anwesenheit der Roma (zum Zwecke einer „Fluchtburg“ für die Durchsetzung von Menschen- und Flüchtlingsrechten) auf dem Gelände der Gedenkstätte KZ Neuengamme nicht zu dulden.
Sie betrachten die Aktion der Roma als versuchte „gesetzeswidrige Besetzung“, die im Interesse eines allgemeinen Besucherverkehrs zu verhindern ist, was am 16. Mai durch Polizei-Gewalt schon geschah.
Ihre Entscheidung und auch die von Ihrer Behörde angebotenen Kompromisse sind besonders fragwürdige politische Entscheidungen, weil sie legal und dennoch im innersten Kern ungerecht sind. Dagegen stehen folgende Überlegungen:
1. Die Hoheitsrechte auf dem ehemaligen KZ-Gelände und ihren Gedenkstätten sollten gesetzlich geregelt die Überlebenden und die Nachkommen der Opfer haben, aber nicht die Nachkommen der Täter, unabhängig davon ob diese schuldig oder „unschuldig“ sind. Die Finanzlast fällt den Nachkommen der Täterschaft zu. Bitte setzen Sie sich auf der nächsten Kultusministerkonferenz diesbezüglich für eine geeignete Gesetzeseingabe ein!
2. Die Entscheidung über vorübergehende Schließungen von KZ- Gedenkstätten dürfen nicht in das rechtliche Ermessen der Nachkommen der Täterschaft gestellt werden! In der Regel sind die Besucher von KZ-Gedenkstätten wenige Überlebende, also ältere Menschen, Nachkommen von Opfern oder andere Interessierte, welche die deutsche Geschichte nicht in „Ritualen“ abfeiern wollen, sondern trauern und sich erinnern für die Gegenwart und Zukunft.
Sollten ausgerechnet diese Menschen sich behindert fühlen, wenn sie auf längere Zeit in den Klinkerhallen Neuengamme Roma bei der Aktion „Fluchtburg“ anträfen?
Habe Sie, Frau Weiss, diese Menschen und Vertreter anderer Opfer-Gruppen überhaupt demokratisch befragt oder verstecken Sie sich nur hinter den vermeintlichen Wünschen mit Ihrem Legalitätsanspruch?
3. Die Aktion „Fluchtburg“ der Roma ist kein „Gedenk-Ritual“, sondern auch im Mai 1993 noch Flucht vor Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Kriminalisierung, sie ist Zeichen und tätiger Widerstand gegen Rassismus zugleich.
Geben Sie deshalb den Roma das Gelände der Gedenkstätte frei für die Aktion „Fluchtburg“, bis die sieben Forderungen der Roma durch die Bundesregierung erfüllt sind.
Auch entgegen den Verlautbarungen Ihres Referenten, Herrn Schmidt-Henkel, meine ich: Nicht der schüttet Öl ins Feuer“ der Rechtsradikalen, wer sich auf die Seite der Roma stellt, sondern wer durch prügelnde Polizeiketten wie 1989 die Öffentlichkeit glauben mache will Gesetz und Moral der Bundesrepublik müßten gegen die Roma verteidigt werden, wenn sie Menschenrechte, Bleiberecht und Flüchtlingsstatus gemäß den Genfer Konventionen fordern und dieser Forderung durch eine langfristige Anwesenheit auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Nachdruck verleihen wollen: Die bundesdeutsche Gesellschaft soll sich der Verantwortung aus der eigenen Geschicht stellen, statt ihr immer wieder auszuweichen, wenn die Folgen in der Gegenwart sichtbar werden.
Ihre Entscheidung, Frau Weiss und die der Innenbehörde ist genau so legal, wie das Vorgehen der Bundesregierung, die noch immer ganz legal Renten an alte Nazi- Kämpfer in Litauen auszahlt, während dort die jüdischen Opfer und Roma leer ausgehen!
Es könnte schlimm ausgehen für die Roma und zur Freude von „Volkes Stimme“, wenn Sie sich weiter hinter Ihrem Legalitätsanspruch und dem traurigen Hinweis auf die „89er Erfahrung“ verschanzten.
Das Dokumentenhaus wurde damals von der Kulturbehörde mit ähnlicher Argumentation wie heute geschlossen und das Protestlager der Roma am 2. Oktober 1989 mit einem Knüppeleinsatz der Polizei - ausgerechnet in den Klinkerhallen - geräumt, wo Roma von NS-Dienern zu Tode geschuftet worden waren.
Damals hatte der Hamburger Senat in einer Presseerklärung von einem Mißbrauch der Gedenkstätte und der Instrumentalisierung der historischen Scham der Deutschen durch die Roma gesprochen. Der Gipfel der Heuchelei war dabei, daß der Senat seinerseits lange Zeit keine Skrupel hatte:
-zu erwägen, die Klinkerhallen für gewerbliche Zwecke zur Profitmache zu „instrumentalisieren“
-durch zwei Nachkriegs-„Knäste“ auf dem Gelände Neuengamme der öffentlichen Meinung nahezulegen, dort sei es immer schon um Abstrafung von „Kriminellen“ gegangen.
Ich glauben, Sie kennen diese Hintergründe und sind in Ihrer Wortwahl gemäßigter, wenn Sie im Interview über den Sprecher des RNC sagen: „Um so betrüblicher ist es, daß hier eine Aktionsform gesucht wurde, die eine Solidiarisierung aus dem politischen Raum erschwert. Doch das gehört ja auch zu den klugen publizistischen Instrumenten Kawczynskis.“ Und später: „... Schade, daß Kawczynski mit seinem Vorgehen der Stadt die Gelegenheit nimmt, sich für ihn einzusetzen.“
Dazu zweierlei:
1. Was soll Ihr unpersönliches Gerede vom „politischen Raum“. Das sind Sie und andere PolitikerInnen, Menschen, deren Courage gefordert ist, jetzt nicht legalistisch, sondern gerecht vorzugehen.
2. Wenn Sie schon über die mangelnde Lobby der verzweifelten Roma und die klugen publizistischen Instrumente Kawczynskis öffentlich nachdenken, wäre es ja nur konsequent, wenn Sie die Lobby vergrößerten und ebenso kluge publizistische Instrumente nutzten, denn an der Sache selbst hat sich doch nichts geändert, die ungerechten Ansprüche der PolitikerInnen an die Roma sind gleich geblieben:
-Die Roma sollen wieder die vergangene wie gegenwärtige Heuchelei des politischen Kontextes nicht wahrnehmen und so tun als hätte man ihnen gangbare „Kompromisse“ angeboten, obwoh es sich dabei um Romafamilien zermürbende „Protest-Rituale“ handelt nach dem Motto: Mal sehen, wie lange die Roma und UnterstützerInnen Demos und Mahnwachen durchhalten.
-Die Roma sollen sich so verhalten, als wären seit Jahren bundesdeutsche Gesetze zu ihrem Schutz als Minderheit in Kraft.
-Die Roma sollen so tun, als hätten sie in der BRD ganz selbstverständlich eine Auswahl legaler Möglichkeiten, um für ihre Rechte als Menschen und Flüchtlinge ohne Heimat zu kämpfen und nicht nur den falschen Weg des Asyl(verhinderungs)„Rechtes“.
-Fazit: Die Roma sollen Schuld sein an der Unsolidarität der PolitikerInnen mit ihnen, weil sie die Ungerechtigkeit aus deren Legaltiätsanspruch nicht akzeptieren wollen?
Das nenne ich den Spieß umdrehen, Frau Weiss.
Wenn Sie als Senatorin Interesse an der Verbesserung der Lage der Roma haben, dann werden Sie einen Weg finden, die sieben Forderungen der Roma an die Bundesregierung zu unterstützen.
Polizeiketten und Knüppeleinsätze gegen Roma bei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, um die „Fluchtburg der Roma zu verhindern“, sind das schlimmste (Wahl)Signal, was zu dieser Zeit der Öffentlichkeit gegeben werden kann, zumal den rechtsextremen Kräften. Damit sind die Roma wieder einmal kriminalisiert und ihre berechtigten Forderungen brauchen nicht mehr diskutiert und beachtet zu werden! Ist das Ihr Ziel, Frau Weiss? Mehr als nur „Schade“, wenn Sie ihre historischen Gelegenheit, Gerechtigkeit gegen die Roma zu üben, weiterhin versäumen sollten! Mit freundlichen Grüßen Ilona Joerden
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