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Wand und BodenWas auch immer dann passiert

■ Kunst in Berlin jetzt: Fluxus, John Cage, Arnold Dreyblatt

Fluxus ist völlig vergessen worden bei der Ausstellung amerikanischer Kunst des 20. Jahrhunderts“, sagt Rafael Vostell, der Sohn jenes rebellischen Fluxisten, der 1987 in unmittelbarer Nähe zum jetzigen Ausstellungsriesen seine auf den Kopf gekippte Lok deponiert hatte. Der junge Vostell folgt als Galerist Vater Wolf nur begrenzt, statt der aktivistischen Seite der Bewegung sondiert er ihr heutiges Potential. Die Historie stellt sich ganz nebenbei mit dem Original- Modell zum TV-Buddha von Nam June Paik ein, der in der Galerie mehr wie ein Studentenscherz aus der Akademie zurechtgeknetet auf dem holzgetäfelten Boden kauert. Kein Wunder, daß diese Arbeit als unverkäuflich gilt. Darber hinaus wartet Vostell jr. mit ähnlichen Schatzkästlein auf, so einer Schatulle von George Maciunas, die 1976 an den Vater Vostell adressiert und mit dem Wunsch versehen wurde, er möge sich aus dem Krimskrams in der Kiste seinen Namen anhand der jeweiligen Anfangsbuchstaben zusammenreimen. „Spell your Name“, es ist, was im Prozeß wird: Fluxus eben.

Den Anekdoten der Alten stehen neuere Arbeiten zur Seite: Eine nach der Original-Signatur von Marcel Duchamp gebogene Neonröhre, die Robert Watts 1990 hat fertigen lassen, oder Armans die Wiedervereinigung kommentierendes Materialbild „Generation nach Generation“ aus Farbrollern in Schwarzrotgold. Der Schrank mit Haushaltsreinigern von George Brecht geht dagegen in die siebziger Jahre zurück: „Mer dalors, oh Cologne“ sprachwitzelt im Sinne des bereits erwähnten französischen Künstler-Filous – und (in der Aufreihung von Putzmitteln und Zeitungsknöllchen) gegen die Gegenstandsassemblagen von Beuys. Auf einem zerknüllten Blatt läßt sich eine inserierte Kontaktanzeige entziffern: „Witwe, 47 J., vollschlank, 2 Kinder, vielseitig interessiert“. Sie sucht einen lebensfrohen Mann, zum „Kennenlernen“. Betrachtet man die heute üblichen Anbandelungstechniken, dann wirkt der fromme Wunsch nach erfüllter Partnerschaft sympathisch naiv. Selbst der später exzessiv body- performende Allen Kaprow beließ es seinerzeit dabei, mit Freunden drei Tage lang leere Ölfässer durch die Staaten zu schleppen und diese Aktion auf freundlichen Gruppenfotos „für Christo“ festzuhalten.

Bis 15.7., Niebuhrstr.2; Mo-Fr 15-19 Uhr; Sa 11-14 Uhr.

Eigentümlich, daß gerade der zwischen Zen- und Beatphilosophie hin- und herflippende John Cage wieder und wieder in deutschen Kirchen landet. Seine „Essay“ betitelte Klanginstallation wurde bereits 1987 auf der documenta VIII in der Hugenotten-Kirche zu Kassel gezeigt, nun findet die Arbeit sich am Rande der Versenkung in der Parochialkirche wieder. Eigentlich der letzte Ort für einen Fluxus-Künstler. Doch der Bau hat mit den Seitenkapellen eine faszinierende Architektur, die sich auch klanglich rekonstruieren läßt. In vier halbkreisförmigen Nischen, von denen die jeweils gegenüberliegenden gleich geschnitten sind, wurden insgesamt viermal acht Lautsprecher angebracht, weitere vier schallen von den Schnittpunkten aus. Aus der Kirchenbank lauscht man einem recht blasphemisch anmutenden Chaos, die Klänge erinnern an das Stimmwirrwarr, das Linda Blair im „Exorzist“ entweicht. Der Teufel ist aber nur Begleiterscheinung jenes höheren Prinzips, das Cage dem babylonischen Wort- und Lautschwall eingeschrieben hat. Ursprünglich geht die Installation auf einen Text von Henry David Thoreau zurück, in dem die ordnende Kraft der Anarchie beschworen wird: „die beste Regierung regiert nicht“, so ungefähr das Credo des amerikanischen Geschichtsphilosophen, das von Cage in serielle Dichtung umgesetzt wurde. Ab und an dringen Wortbrocken aus dem vielstimmigen Gemurmel und Gemurre ans Ohr: „right“, „institutions“ oder „I asked“.

Für einige Gäste kommt der Ort den höheren Weihen des Spaßvogels recht. Ein pfiffiger Mann hat seinen DAT-Rekorder mitgeschleppt und schreitet nun die Klanginstallation ab, um sich eine Bootleg-Version zu erstellen. Bei aller Faszination an der eigenen Reproduktionstechnik entgeht ihm dabei ein wenig das liebevolle Durcheinander. So leicht läßt sich Klang dann doch nicht einfangen. Dazu Cage selbst: „I welcome, whatever happens next.“

„Writings through the essay“, bis 13 6. Klosterstr. 67; tgl. 10-19 Uhr.

Auch Arnold Dreyblatt versteht sich als Vertreter frei fluxierender Ströme. Seine Installation „aus den großen und kleinen Archiven“ entfaltet mehr oder minder imaginär das Leben eines Geheimagenten aus der Zeit zwischen den Weltkriegen. Alle Mutmaßungen über jenen „T“ beschränken sich auf die Dokumentation von Daten, denn, wie der Mann einmal selbst gesagt haben soll: „Es gibt heutzutage in der Welt nur wenige Personen, über die soviel in der Weltpresse geschrieben worden ist, wie über mich armen Menschen, so „T“ an den Außenminister der USA am 17. 6. 1927. Dreyblatts' Akribie wird der Paranoia des Spions durchaus gerecht. In seinem Netz aus Informationen kann man „T“ gläsern durchleuchtet als wunderbar verwirrendes Licht-/Text-Objekt mit dem Titel „Das große Archiv“ ebenso lesen wie in den gewaltigen Schriftrollen, die im Eingang der Galerie O2 ausliegen. Schlau wird man nicht aus der Fülle an gesammeltem Material. Die Vita verdunkelt sich in der Verwaltung, als würde sich unter dem Berg aus Zahlen und Buchstaben der heimliche Index der Vergangenheit verbergen, den Walter Benjamin im Aufschreibesystem der Geschichte vermutet hatte.

Dieses System mündet im IBM 3851, dessen Datenverarbeitung der Massenspeicherung dient, so wie ihn die katholische Kirche benutzt: Sie hat standesamtliche Daten von 1,7 Milliarden Menschen auf 1,6 Milionen Mikrofilmrollen 30 km südöstlich von Salt Lake City/Utah im Stollen einer engen Felsschlucht eingelagert. Nichts geht verloren. Neben den großen Utopien der Kirche nimmt sich die Zettelsammlung über „T“ doch eher bescheiden aus. Es sind insgesamt 110 Polizeiberichte und Geheimdienstaufzeichnungen oder auch verschlüsselte Telegramme, wie das an den Generalkonsul von Rotterdam am 16. Februar 1915 aus London gesendete: „Pirschjäger/ Admiralität/ „T“/ „T“/ „T“/ Armband/ Holzfäller/ Gelenkriemen/ Rotterdam/ Rotterdam/ ?.“ Den Schlüssel zur Entzifferung hat Arnold Dreyblatt, ganz Künstler, nicht mitgeliefert.

Bis 13.6. Oderberger Str.2 Di-Sa 14-20 Uhr. Harald Fricke

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