: Lücken und falsche Weichen
Die Klimapolitik der Bundesregierung besteht ein Jahr nach Rio aus Ankündigungen / Teil 2 der taz-Serie ■ Von Wolfgang Helm und Markus Kurdziel
Mit der Unterzeichnung der Klimakonvention in Rio im Juni 1992 hat sich die Bundesregierung verpflichtet, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“. Dieses Ziel ist nach Ansicht der Klima- Enquetekommission des Bundestages nur erreichbar, wenn die Kohlendioxidemissionen (CO2) in der Bundesrepublik bis zum Jahre 2005 um 30 Prozent, bis 2020 um 50 Prozent und bis 2050 sogar um 80 Prozent gegenüber dem Stand von 1987 gesenkt werden.
Schon am 7. November 1990 hatte die Regierung Kohl ein erstes gesamtdeutsches CO2-Minderungsprogramm beschlossen. In den alten Bundesländer sollten die Kohlendioxidemmissionen um 25 Prozent vermindert werden, während in den neuen Bundesländern von einer deutlich höheren prozentualen CO2-Verminderung bis zum Jahre 2005 ausgegangen wurde. Rund 100 Maßnahmen seien notwendig und möglich, lediglich fünf davon wurden jedoch bis heute in Angriff genommen.
Die klimapolitische Zwischenbilanz ist ein Jahr nach der Konferenz von Rio also katastrophal. Nach Angaben des Umweltministers sind die CO2-Emissionen in den alten Bundesländern sogar noch um drei Prozent gegenüber 1987 angestiegen, während der Rückgang in den neuen Bundesländern lediglich die Folge des so nicht gewollten Fabriksterbens ist.
In beinahe allen Politikbereichen werden Weichenstellungen getroffen, die dem in Rio vereinbarten Ziel eines nachhaltigen Wirtschaftens zuwiderlaufen. Vor allem beim Verkehr läuft alles auf eine drastische Zunahme der Kohlendioxidbelastungen hinaus. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI/Essen) sieht praktisch keine Chance mehr, die verkehrsbedingte Zunahme zu verhindern, wenn nicht drastische Maßnahmen der Regierung ergiffen würden. Beim gegenwärtigen Trend sei davon auszugehen, daß die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs bis zum Jahr 2005 um über 40 Prozent ansteigen werden (West: plus 28,7 Prozent, Ost: plus 155,4 Prozent).
Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt hält eine Senkung der CO2-Emissionen um 25 Prozent im Energiebereich nur dann für denkbar, wenn die Energienutzung erheblich verteuert wird. So müßten sich Heizöl- und Erdgaspreise real verdoppeln, die Spritpreise müßten auf 4,40 DM pro Liter ansteigen. Angesichts der Tatsache, daß bereits die Forderung nach einer Erhöhung der Mineralölsteuer um 13 Pfennige pro Liter beinahe zu einer Regierungskrise geführt hat, ist wohl vorerst nicht mit einer Wende zu rechnen.
Eine detallierte Analyse der von der Bundesregierung vor kurzem veröffentlichten „CO2-Erfolgsbilanz“ durch das Bündnis 90/Die Grünen kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Die aufgeführten 30 Einzelmaßnahmen bestehen aus „Lügen und Lücken“. Lügen, weil die Deindustrialisierung im Osten, die seit 1990 ohne struktur- und umweltpolitisches Konzept betrieben wird, zynischerweise als großer Beitrag zur CO2-Verringerung herangezogen wird; Lücken, weil etwa mit der fehlenden Förderung wärmeisolierender Vorhaben im Altbaubestand eine der größten Chancen, CO2 einzusparen, nicht genutzt wird, und weil ganze Bereiche wie etwa die Landwirtschaft praktisch vollständig ausgeklammert bleiben.
Gerade einmal die Hälfte der aufgeführten 30 Maßnahmen hat überhaupt das Kabinett durchlaufen. Darunter findet sich beispielsweise das „Förderungsprogramm Windenergie“, das sehr gut angenommen wurde, leider aber schon in diesem Jahr wieder ausläuft und nicht verlängert werden soll. Oder das 1.000 Dächer-Programm „zur Förderung der Photovoltaik“, das völlig nach hinten losgegangen ist: Durch die viel zu geringe Dimensionierung des Programms kam es zu einem Auftragsrückgang bei der Industrie, der die Preise von Photovoltaikanlagen in die Höhe trieb. Wie bei der Windenergie ist hier ein Wechsel von der Forschungsförderung zur Markteinführungsunterstützung notwendig. Doch dafür fehlen – im Gegensatz zur Atomforschung – die Mittel.
Einige der Projekte aus dem BMU segeln zudem unter falscher Flagge. Sie richten sich höchstens indirekt gegen den Treibhauseffekt, haben aber mit einer CO2- Minderung nichts zu tun. Wie etwa der heftig kritisierte Entwurf eines Kreislaufwirtschaftsgesetzes oder die TA Siedlungsabfall, die CO2- Emissionen mindern sollen, bleibt Töpfers Geheimnis. Letztere wird zur Folge haben, daß mehr Müll verbrannt wird, mithin Kohlendioxid in größeren Mengen anfällt.
Völlig unverständlich ist auch die Aufnahme des „Programms Aufschwung Ost“ in Töpfers Klima-Bauchladen. Hier werden nämlich in erster Linie Mittel für Abwasserreinigung sowie teilweise für die Altlastensanierung aufgebracht, aber nicht für den Klimaschutz. Im Gegenteil: Es sei nur an den Stromvertrag erinnert, der ohne den heftigen Widerstand ostdeutscher Kommunen zur Übernahme der zentralistischen und ineffizienten Stukturen der alten Bundesrepublik geführt hätte. Ganz abgesehen von den gigantischen Straßenbauplänen.
Ob „Blauer Engel“ oder „Grüner Punkt“, ob Energiesteuer oder Energiewirtschaftsgesetz, ob Kraftfahrzeugsteuer oder Verkehrsabgabe, Töpfer hat richtig aufgelistet, wo Handlungsbedarf besteht. Neu ist allerdings, daß die Zusammenstellung notwendiger und häufig angekündigter Vorhaben, deren Umsetzung in weiter Ferne liegt, heutzutage schon als politischer Erfolg der Regierung Kohl verkauft werden soll.
Das Töpfersche „CO2-Minderungsprogramm“ ist eine Mogelpackung und folgt einem bekannten Muster. Die Rede war von „blühenden Landschaften im Osten“ und „keinem wird es schlechter gehen“. Bekanntlich war das ein Irrtum des Kanzlers. Beim Klimaschutz geht es aber um mehr als um den Erhalt einer Regierung. Es geht schlicht und ergreifend um den Fortbestand unserer Zivilisation. Leere Versprechungen und Irrtümer können wir uns da nicht leisten.Wolfgang Helm und Markus Kurdziel arbeiten für die Bundestagsgruppe von Bündnis 90/Die Grünen
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