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■ FaktenRückkehrabsichten schwinden

1955 wurde der erste Anwerbevertrag der BRD mit Italien geschlossen. 1961 folgte die Türkei, und als letztes Land modifizierte 1968 Jugoslawien ein Abkommen. 1973 verfügte die Bundesregierung einen Anwerbestopp für Ausländer aus den Staaten, die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören. Obwohl die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer zwischen 1974 und 1981 zurückging (Griechen um 193.500 und Spanier um 77.800), nahm die Anzahl der in der Bundesrepublik lebenden Türken während des gleichen Zeitraums um 436.500 zu. Durch Familienzusammenführung änderte sich die Zusammensetzung der türkischen Immigranten. Bis 1974 setzte sich die türkische Wohnbevölkerung in der BRD hauptsächlich aus Männern zusammen, durch Familienzuwanderung wurde dieses Verhältnis langsam ausgeglichen.

Seitdem haben sich die ehemaligen „Gastarbeiter“ aus den Anwerbestaaten zu etablierten Minderheiten in der deutschen Gesellschaft entwickelt, der Rückkehrwunsch in das Heimatland zeigt einen rückläufigen Trend. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer wird die Rückkehrperspektive immer unpräziser. Derzeit beabsichtigen vier Fünftel der Türken der ersten Generation, in Deutschland zu bleiben.

1992 belief sich die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung auf rund 6,2 Millionen, davon stellten Türken den größten Anteil mit 1.856.000 Einwohnern. Insgesamt 71 Prozent sind Einwanderer aus den ehemaligen Anwerbestaaten. Die Zahl der 50- bis 64jährigen stieg von 1987 bis 1990 um 48,1 Prozent. Der Anteil der über 60jährigen lag 1987 bei fünf Prozent und wird nach neuen Erhebungen im Jahr 2030 auf 37 Prozent steigen.

Die steigenden Verbleibeabsichten der hier lebenden Türken weisen darauf hin, daß sich die deutsche Öffentlichkeit ebenso wie die Politiker auf eine dauerhafte Existenz der türkischen Minderheit in Deutschland einrichten müssen. Während die Rückkehrbereitschaft zwischen 1983 und 1985 bei 35,4 Prozent lag, wurde für den Zeitraum 1989 bis 1990 ein Wert von 6,3 Prozent ermittelt. Bei älteren Ausländern dominieren zwei Probleme: Die finanzielle Lage im Ruhestand ist bedrückend (zwei Drittel der Familien müssen monatlich mit weniger als 1.500 Mark auskommen). Hinzu kommt, daß jeder zweite ältere Ausländer über dauerhafte gesundheitliche Beschwerden klagt. Eine künftige sachgerechte und verantwortungsvolle Minderheitenpolitik ist dringend erforderlich, um rechtliche und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die der türkischen Wohnbevölkerung erlaubt, ihre Zukunft langfristig in der Bundesrepublik zu planen. Für die Mehrzahl der Ausländer der ersten Generation ist die BRD längst ein Einwanderungsland geworden. Prof. Dr. Faruk Șen

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