: Blutproben vertauscht?
■ Mysteriöse Ergebnisse bei Leukämie-Studie zur Elbmarsch: Absicht oder Dilettantismus?
Blutproben vertauscht?
Mysteriöse Ergebnisse bei Leukämie-Studie zur Elbmarsch: Absicht oder Dilettantismus?
Sechs Kinder und ein Jugendlicher aus der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel an der Elbe sind zwischen 1989 und 1991 an Blutkrebs erkrankt, drei davon sind mittlerweile tot: Angela wurde neun Jahre alt, Sebastian acht, und Sönke Rehr (21) versuchte bis zu seinem Tod im vergangenen Herbst, gemeinsam mit anderen Elbmarsch-EinwohnerInnen die Ursache dieser in der BRD katastrophalen Leukämie- Häufung zu erkunden. Am Dienstag vergangener Woche gaben die Regierungen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins das Ergebnis einer Blutuntersuchung an Kindern in der Elbmarsch bekannt. Die Frage hatte gelautet: Haben
Jetzt werden Erwachsene, Kühe und Bäume rund um Krümmel untersuchtFoto: Henning Scholz
die Elbmarsch-Kinder mehr kaputte Chromosomen im Blut als Kinder aus einem unbelasteten Gebiet, und zwar Kindern aus dem Kreis Plön? Antwort: Sie haben etwa gleichviele Chromosomen- Störungen.
Zunächst lange Gesichter, dann sahen sich die Bürgerinitiative und atomkritische WissenschaftlerInnen die Ergebnisse genauer an — und kamen aus dem Kopfschütteln nicht heraus: Niemand kann sich bis jetzt erklären, wieso es in der Gemeinde Elbmarsch hochbelastete Jungen gibt, in der Plöner Gegend dagegen die Mädchen vor allem betroffen sind. „Das kann gar nicht sein, das ist kein vernünftiges Ergebnis“, sagt beispielsweise die Ärztin Helga Dieckmann.
Völlig unerklärlich ist auch ein weiterer Befund: Zwei Plöner Kinder wiesen eine geradezu ungeheurerliche Häufung an veränderten Chromosomen auf: das eine Kind auf 1000 Zellen drei kaputte Chromosomen, das andere gar vier. Solche Häufungen sind bislang jedoch nur aus der Nähe von Tschernobyl bekannt.
Sind die Proben der Plöner mit denen der Elbmarsch-Kinder vertauscht worden, gar absichtlich? So direkt wagt zur Zeit noch niemand öffentlich zu fragen, doch
hier das AKW
mit Totenkopf-Fahne
hinter den Kulissen, in den Wissenschafts-Teams, bei der Bürgerinitiative und in den Ministerien wird diese Frage bereits diskutiert. Eigentlich haben die vier Laborteams (eines davon in Bremen) nur anonymisierte Blutproben zur Untersuchung bekommen.
Michael Csicsaky, Referent für Umweltfragen bei der niedersächsischen Regierung, kann sich deswegen auch gar nicht vorstellen, wie die WissenschaftlerInnen den Code hätten rückgängig machen können, um herauszufinden, welche Probe aus welchem Landstrich kommt — „außer der Code wird weitergegeben“.
Angezweifelt wird jetzt nicht nur das Ergebnis der Studie, sondern das ganze Design der Untersuchung: Wieso, fragt zum Beispiel der Münchner Professor Roland Scholz, wieso wurden auch Kinder aus der Zehn-Kilometer- Zone um das Atomkraftwerk untersucht, obwohl doch die Leukämie-Fälle nur in der Fünf-Kilometer-Zone auftraten? Scholz: „Die Chromosomen-Studie ist so angelegt, daß das Ergebnis zwangsläufig verwässert wird.“
Auf das Drängen der Bürgerinitiative und einiger WissenschaftlerInnen wird derzeit auch das Blut von Erwachsenen untersucht. Höchste Zeit, denn durch Radio
aktivität mißgebildete Chromosomen zerfallen schnell. Bei Kindern kann man nur etwa vier Jahre in die Vergangenheit zurückblicken, bei Erwachsenen läßt sich möglicherweise auch heute noch ein AKW- Unfall Mitte/Ende der 80er Jahre an den Chromosomen ablesen.
Um wenigstens bei dieser Erwachsenen-Studie mögliche Verwechslungen nachweisen zu können, hat die Elbmarsch-Bürgerinitiative diese Woche selbst auch Blutproben von den untersuchten Erwachsenen genommen — unter Aufsicht eines Notars. Schließlich gehe es bei der Untersuchung um den Nachweis der Schädlich- oder Unschädlichkeit von Kernkraftwerken, da sei es blauäugig zu glauben, daß da immer alles mit rechten Dingen zugehe.
Untersucht werden jedoch nicht nur Menschen: Auch in Baumscheiben sucht man zur Zeit nach dem Nachweis für eine Freisetzung von Radioaktivität aus dem AKW Krümmel. Ebenso in den Knochen von Kühen aus der Elbmarsch. Strontium reichert sich nämlich an anstatt zu zerfallen. Als allerletzte Möglichkeit, einem AKW-Unfall Ende der 80er Jahre auf die Spur zu kommen, bliebe dann immer noch die Elektronenspinresonanz in Milchzähnen. Christine Holch
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