: Aus der Praxis gelangweilter Pennäler
Frühe Arbeiten von Sigmar Polke zeigt eine Ausstellung in der Berliner Galerie Bruno Brunnet Fine Arts: Zugespitzte Rekapitulation der Alltagskultur des deutschen Mittelstandes in den „Silly Sixties“ ■ Von Harald Fricke
Wer sich in die Vergangenheit begibt, muß nicht vor den großen Chroniken wie etwa den Geschichtsschleifen der „Heimat“- Serie zurückschrecken. Es wimmelt überall von kleinem Flickwerk an Erinnerungen, von der Photowand in der Eckkneipe oder den Flugblattsammlungen alteingesessener Groß-WGs bis zum sauber archivierten Plakatfundus über die früheren Aktivitäten im Heimatmuseum. Manchmal fällt das einmal Gewesene auch bloß mit der schnellen Identifikation einer simplen Witzfigur zusammen: Während sich in Amerika die sechziger Jahre zwischen Raumfahrt, PopArt und Woodstock explosionsartig manifestierten, war Heinrich Lübke in der Zeit von 1959 bis 1969 Bundespräsident. Auch Polke war Subjekt dieser Ära.
Auf 61 Zeichnungen, Aquarellen und Ölgemälden findet sich eine zugespitzte Rekapitulation der „Silly Sixties“, in deren Zentrum Alltagskultur im deutschen Mittelstand ikonenhaft umgesetzt ist. Scheinbar zeitlos, wenn man dem Ausstellungstitel „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ glaubt. Mehr noch ist das Spiel mit der jüngeren Geschichte aber ein Anzeichen dafür, wie stark die Historie allen finalen Weltgeistern Hegels zum Trotz beharrlich auf der Stelle tritt. Der von Polke angekreidete Patriotismus auf „Sekt für alle“ (1964), jenes spöttisch überzeichnete Identitätsmodell, das zwischen Entnazifizierung und Wirtschaftswunder auf Spurensuche ging, hat sich im November 1989 mit denselben Insignien deutscher Fröhlichkeit – Schaumwein und Konfetti – ganz ähnlich auf dem Kurfürstendamm wiederereignet.
Dieselben Vorbehalte richten sich allerdings auch gegen die zeitgenössische Kunst. In einer Zeichnung wie „Plastik“ (1967), dem Bildnis einer aufs Podest gehobenen, überdimensionalen Brezel, mehr noch als allgemeiner Kalauer gegen Claes Oldenburg angelegt, verfährt Polke mit seinen eigenen Plastiken nicht minder paradox. Das Objekt „Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere Kartoffel umkreisen kann“ führt tatsächlich zwei Kartoffeln als vom Betrieb geadelte Fetische vor, die der Galerist nun sorgsam hegen muß. Die ominöse Installation will dennoch als beißwütige Kritik am zeitgemäßen Kultstatus von Marcel Duchamp, Carl Andre oder Joseph Beuys verstanden werden – und an einem Markt, der mangels künstlerischer Aussagekraft zum infantilen Spektakel geworden ist. Dagegen verbleibt Polke in seiner kunstgegenstandsfixierten Ironie ein fast konservativer Bildbewahrer. Seinem Statement, sich nicht länger darauf verlassen zu können, „daß eines Tages gute Bilder gemalt werden“, schlossen sich aber nicht bloß kleinformatige Skizzen und Sketche an, sondern sehr komplexe Rastergemälde, die im Düsseldorfer Kreis der Fluxisten auf keine große Gegenliebe gestoßen sein können.
Doch der rückwärtsgewandte Pragmatismus von Sigmar Polke berührt ein ganz anderes Problem. Die Frage nach der momentanen Griffigkeit der Stilmittel bringt eine Vorstellung von Ökonomie ins Spiel, die sich mehr noch gegen die in den sechziger Jahren dominierende amerikanische Kunst richtet: Als Anfang 1963 in der Zeitschrift Art International eine Reihe von Artikeln über PopArt erschien, konterte der gerade einmal 22jährige Polke gemeinsam mit Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner in einem Pamphlet, das den Ausdruck „Kapitalistischer Realismus“ ins Spiel der Supermächte brachte. Der Begriff schob sich wie ein Keil zwischen die Blöcke der pathetisch-erbaulichen Staatsdoktrin im Osten und des Warenkultes im Westen.
In der Umsetzung des malerischen Handlungsbedarfs verwendete Polke fast ausschließlich billiges Zeichenmaterial und arbeitete mit Kugelschreiber auf Ringbucheinlagen, als wolle er dem akademischen Diskurs die alltägliche Praxis gelangweilter Pennäler entgegenhalten. Die Schnodderigkeit der hingekritzelten Strichmännchen und Werbe-Trivialitäten entzieht sich jenem allgewaltigen Künstlerimpetus von der besonderen Schöpfung, die selbst Warhols Ikonen anhaftet. Polke hätte mit seinen Schuhentwürfen vorlieb genommen. Die systematischen Angriffe auf den Markt blieben nicht ohne Folgen. Es mag eine gewisse Ironie darin mitschwingen, das genau diese wegwerfende Geste zu eben der Signatur geworden ist, an der die Kunstgeschichte heute einen echten Polke erkennt.
Trotzdem bleibt die Kluft zwischen dem Künstler als sinnstiftendem Individuum und dem vermeintlichen Künstler-Subjekt Polke bestehen, denn Polke wußte sehr genau, daß sich eben dieses Künstler-Subjekt bereits in der Repräsentation konstituiert. Sich davon allerdings ein Bild zu malen, erzeugt nichts weiter als eine Verdoppelung des Problems – oder Tautologisches, ein weißer Schimmel. In einer Serie von fotografischen Selbstporträts aus dem Jahr 1968 findet sich dieser Gedanke ausformuliert. Ein Photo zeigt Paßfotos von Polke, die er an die Enden einer Peitsche gebunden hat. Der dazugehörige Mappentext lautet: „An den Riemen der Peitsche befinden sich Bilder, mit denen man das, was man will, auspeitschen kann.“
Sigmar Polke: „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“. Bis zum 12.Juni in der Galerie Bruno Brunnet Fine Arts. Zur Ausstellung ist ein Katalog in limitierter Auflage erschienen. Preis: 20 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen