Sanssouci: Vorschlag
■ Unbedingtheit Alfred Matusches „Nacht der Linden“ in der Brotfabrik
Waren einst zwei Brüder im Dorfe. Der eine würde den Hof erben, weil er den richtigen Vater hat. Der andere würde sich immer als Knecht fühlen. Beide begehrten dieselbe Frau. Den Knecht küßt sie. Der Landmann denunziert den Nebenbuhler, auf daß jener ins KZ kommt für sechs lange Jahre. Danach geht der Landmann ab ins Zuchthaus. Der Knecht wird Bürgermeister und kollektiviert die Bauern.
Verrat aus niederen privaten Gründen mittels Staatsmacht. Für so manche(n) ein Motiv, sich mit der Stasi eingelassen zu haben ... Aber die Geschichte um die Brüder muß sich im Kopf abspielen. In Alfred Matusches „Nacht der Linden“ bietet das Zusammentreffen der beiden Männer Mitte der fünfziger Jahre nur die eine Handlungsebene. Und eigentlich haben die Jungs kaum was zu spielen: Das Interesse des Autors gehört der umworbenen Frau, Kate. Sie ist jetzt vierzig und Wirtin vom „Lindenkrug“. Jahre hat sie gewartet. Sie nimmt erst den Knecht, dann den Landmann, und läßt sich in der dritten Nacht nicht ausspielen zwischen beiden.
Wahrscheinlich hat der Bruderkonflikt das Hoftheater Prenzlauer Berg bewogen, sich Matusches fast vergessenen Stücks anzunehmen. Der DDR-Autor (1908-1973) bevorzugte die Unbedingtheit. Den neuen Menschen hat er gesucht und gestaltet. Das Private ist politisch. Seine Stücke werden wenig gespielt. Wohl, weil es wie in den „Linden“ so wenig zu spielen gibt.
Nach der Premiere des 1965 entstandenen Stückes im Jahr 1979 durch Rolf Winkelgrund in Potsdam ist die Hoftheater- Aufführung die vierte überhaupt. Nach Potsdam, Anklam, Wittenberg. Kates Geschichte wird verwoben mit einer Geschichte um drei schwangere Frauen. Die Kollektiv-Gärtnerin, die Friseuse aus Randberlin, die Kellnerin im privaten „Lindenkrug“ – sie sind beide von dem unreifen Benehmen der werdenden Väter entsetzt. Ihre Rache: sie wollen nicht heiraten. Und das Mitte der fünfziger Jahre!
Eine einfache Umkehrung von „Mein Bauch gehört mir“. Kein Recht auf Abtreibung, kein Aufruf zum Gebärstreik, dafür das Recht auf ein mannloses Leben. Es scheint nur so, als seien Ev, Hanne und Usch ganz wild auf Babys. Bei Alfred Matusche und in der lustvoll gespielten Variante des Hoftheaters Prenzlauer Berg. Im (Max) Frisch-verklärten Programmheft liegt ein Aufruf für die Frauenkasse. Unbedingtheit, wie sie der vor 20Jahren verstorbene Autor gesucht hat. Vera Lorenz
Premiere in der Brotfabrik: 12. Juni, 20 Uhr, weitere Termine: 18.-20. und 25.-27. Juni, jeweils 20 Uhr.
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