piwik no script img

Obsessives Spiel

Oscar Wildes „Salome“ in der Regie von Steven Berkoff als Gastspiel im Hebbel-Theater  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Die Uraufführung wurde 1892 erst einmal verboten: zu schwül und triebhaft war Oscar Wildes ein Jahr zuvor entstandenes symbolistisches Drama „Salome“, das dann vier Jahre später, mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle, in Paris seinen Weg auf die Bühne fand. Durch die fatale Liebe der judäaischen Prinzessin Salome zu dem vom Stiefvater eingesperrten Propheten Jochanaan treffen zwei Weltzeitalter aufeinander: das in Korruption und hemmungsloser Sinnenlust untergehende heidnische und das heraufkommende christliche, dessen Vorbote und Verkünder der streng asketische Jochanaan ist.

Steven Berkoff, der mit seiner Londoner Inszenierung für drei Tage im Hebbel-Theater gastierte, verlegt die morbide Gesellschaft in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts: eine schwarz-weiß gekleidete Partyrunde, ihrer selbst überdrüssig und den gefangenen Propheten wie ein fremdes Tier bestaunend. „Sag doch mal was Heiliges“, rufen sie in sein Verlies, und, als der Aufforderung nicht Folge geleistet wird: „Er prophezeit ja nicht allzuviel.“ Nur die Prinzessin Salome beteiligt sich nicht an diesen Spielchen, wie angegossen bleibt sie, sich unablässig Luft zufächelnd, auf ihrem Stuhl sitzen – als könne sie so die Hitze ihres Körpers lindern.

Ein Dreieck bildet sie mit dem in einem imaginären Verlies auf der Mitte der Bühne sitzenden Jochanaan und einer stummen, alles überragenden Figur: Jochanaans Henker, der den Wunsch der abgewiesenen Prinzessin vollziehen und dem Propheten den Kopf abschlagen wird.

Ästhetisch kühl und zugleich sinnlich überhitzt ist die Atmosphäre des Wildeschen Dramas, und Berkoff gelingt eine erstaunliche bildliche Umsetzung dieses Widerspruchs. Römer, Syrer, Nazarener, Juden und Krieger werden zu einem achtköpfigen (Party-)Chor, der in streng durchchoreographierten Bildern in Slow Motion über die Bühne schwebt – Marionetten mit überdehnt artifizieller Sprache, kalt und triebhaft zugleich.

Ein Bewegungstheater, das von Ferne an die Bilderkompositionen Robert Wilsons erinnert, doch Berkoffs Figuren sind bei aller Kühle lebhaft und psychologisch gezeichnet. Jochanaan ist ein Jesus wie er im Buche steht, mit nacktem Oberkörper und langer Mähne konterkariert er die Gesellschaft der Überzivilisierten. Herodes wird, von Berkoff selbst gespielt, zur Hauptfigur der Inszenierung: ein übersättigter Wüstling, der immer neuen Sinnesreizen entgegenhungert, geil, kindisch und gefährlich, sich noch in seinen blödesten Momenten der eigenen Macht voll bewußt. Mit seiner dunklen Gattin gelingen ihm bösartig genaue Zeichnungen der gemeinsamen Ehehölle. Der Chor der Vornehmen ist letztlich ein feiges Pack, das als Echo die Reden ihres Herrn verlängert oder folgsam und bis zur völligen Erschöpfung seine Witze belacht.

Jochanaan, mit dem sie aus sicherer Distanz ihre kurzweiligen Spielchen treiben, fürchten sie bei seinem leibhaftigen Erscheinen wie der Vampir das Kreuz und der Teufel das Weihwasser. An Salomes Rockzipfel hängend, folgen sie, sich immer geschützt hinter sie drängend, den Liebesschwüren und Haßtiraden, die sie Jochanaan entgegenschleudert. „Diese Sprache ist wie Wind für mich, sprich noch einmal“ ruft sie Jochanaan zu, derweil es sie mitsamt der Partygesellschaft bei seinen apokalyptischen Detonationen über die Bühne fegt.

Die Peinlichkeiten, die den Zuschauer beim Schleiertanz der Salome oft erwarten, werden hier geschickt umgangen. Statt die unmäßig hohen Erwartungen zu schüren, die sich im Drama mit diesem Tanz verbinden, redet sich Berkoffs Herodes so in Rage, daß er darüber den Tanz selbst vergißt. Viel zu selbstgefällig, um sich für irgend etwas anders als sich selbst zu interessieren, wird der Schleiertanz, den Wilde Sarah Bernhardt auf den Leib geschrieben hatte, dann doch zum Ereignis: statt fallender Schleier gibt es einen imaginierten Striptease, somnambul und faszinierend durch sein Understatement. Zu Roger Doyles leicht dahinfließenden Klavierklängen wandeln die Schauspieler über die Bühne, und mit stilisiert pantomimischen Bewegungen gelingt im Hebeltheater ein heiß-kaltes, verhalten-expressives Theatertraumspiel, in dem Steven Berkoffs obsessives Spiel zweifellos den Mittelpunkt bildet.

Daß Berkoff als Filmschauspieler bei Filmen wie „Beverly Hills Cop“ mitwirkt und jetzt einen Film mit Joan Collins in der Hauptrolle drehen will, ist nach diesem Abend nur allzu schwer vorstellbar – zu bösartig ist Berkoffs Blick, durch den jedoch immer das Komödiantische durchschimmert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen