: Racheengel
Im Checkpoint-Kino laufen zur Zeit drei Filme, in denen Frauen mit ihren Vergewaltigern abrechnen ■ Von Anja Seeliger
Das Checkpoint zeigt an diesem Wochenende drei Filme, die Ende der siebziger Jahre radikal mit der Vorstellung aufräumten, Frauen seien nach einer Vergewaltigung fürs Leben geschädigte psychische Wracks, abhängig von unserer Hilfe und unserem Mitleid. Statt dessen wird beispielhaft vorgeführt, daß „es ihm heimzahlen“ als eine gute und gesunde Reaktion das Leben wieder erträglich macht. Frei nach dem Motto von Claudia Cardinale („Spiel mir das Lied vom Tod“): „Dreckige Erfahrungen im Leben können nicht schaden“ erscheinen die Frauen nach Vergewaltigung und Abrechnung sogar selbstbewußter als zuvor.
Der schwedische Film „Wie vergewaltige ich einen Mann?“ (1978), ist eine wunderbare Gelegenheit, zu sehen, wo wir mal waren. Der Film entstand in einer Zeit, als Frauen sich einerseits Gedanken darüber machten, ob die Verabredung mit einer Freundin ihre Ehe gefährdet („Ich muß doch für Arne kochen“) und andererseits vehement für politische Ziele wie „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ stritten. Und es war eine Zeit, in der Frauen glaubten, es sei ihr Recht, mit einem Fremden in die Wohnung gehen zu können, ohne vergewaltigt zu werden. Eva Randers, 40, Bibliothekarin, läßt sich auf einer Feier von einem Biedermann abschleppen, grundsätzlich nicht abgeneigt, von Zärtlichkeiten zum Sex zu wechseln. Doch Verführung dauert, nach einigen Ohrfeigen kommt Herr Martin Wester wesentlich schneller auf seine Kosten.
Kameramann Bille August läßt Schweden ziemlich grau aussehen. Alle haben rötliche Gesichter, und die bevorzugte Farbe der Kleidung ist braun. Die Farben bilden ebensowenig Kontraste wie die Geschlechter. Randers verfolgt ihren Vergewaltiger wochenlang, unschlüssig, wie sie ihn adäquat bestrafen kann. Endlich beschließt sie, den Mann zu demütigen: Die Strafe als Belehrung, ausgehend von dem Glauben, daß Männer und Frauen grundsätzlich gleich sind und deshalb miteinander kommunizieren können. So wie ihre junge Kollegin glaubt, der Protest gegen ungerechte Bezahlung würde die Vorgesetzten dazu bringen, ihr System zu überdenken. Am Schluß wird die Vergeltung wieder in Frage gestellt, nicht, weil sie unmoralisch erscheint, sondern weil die ernstgemeinte Frage „Wie vergewaltige ich einen Mann?“ nichts als Ratlosigkeit hinterläßt.
In „I spit on your grave“ (1979), der im Checkpoint seine deutsche Erstaufführung erlebt, ist die Frage des „wie“ bereits kein Thema mehr. Eine junge Frau, Schriftstellerin, fährt an einen einsamen See, um sich zu erholen. Dort wird sie von vier Männern, die zuvor ausgiebig als schlicht von ihren Hormonen geleitete Schwachköpfe — der Stand der Dinge, wie ihn Camille Paglia beschreibt — Zeit zur Selbstdarstellung hatten, vergewaltigt.
Die Szenen zeichnen sich vor allem durch ihre naturalistisch dargestellte Brutalität aus. Nach der Vergewaltigung schleppt sich die Frau durch den Wald, wo die vier sie noch einmal überfallen und als sie schließlich in ihr Haus kriecht, sitzen die Jungs schon da, bereit für die dritte Runde. Insgesamt machen die Vergewaltigungsszenen ein Drittel des Films aus. In den nächsten Wochen verwandelt sich die Frau von einer freundlichen Naiven in eine berechnende Schlange, die ihre Opfer umgarnt, um sie dann auf ausgesprochen phantasievoll-grausame Art und Weise zu töten. Regisseur Meir Zarchi gibt sich radikal, indem er erstens den Mord als adäquate Strafe gelten und zweitens die Frau damit durchkommen läßt, doch nach den ultraharten Vergewaltigungsszenen erscheinen die Racheakte so unwahrscheinlich, daß sie die Frau zur puren Comicfigur degradieren.
Obgleich, was die Darstellung der Gewalt angeht, weitaus zurückhaltender, geht Abel Ferrara mit „Angel of Vengeance“ („Die Frau mit der 45er Magnum“, 1981) am weitesten. Seine Heldin Thana, eine schüchterne junge Frau, stumm, in einem Modeatelier arbeitend, verwandelt sich nach der Vergewaltigung in einen Racheengel, der sich eine Freiheit nimmt, die von schlicht atemberaubender Kühnheit ist.
Sie wird auf dem Heimweg mitten von der Straße in einen dunklen Eingang gezerrt, über die Mülltonne geschmissen und — eine Pistole am Kopf — vergewaltigt. Die ganze Geschichte ist im Nullkommanichts vorbei, so daß man sich fassungslos fragt, wie man jemandem das für 30 Sekunden Lust antun kann. Zu Hause sitzt sie auf ihrem Bett, und als sie hochsieht, steht da schon der nächste. Zum Glück ist dieses Mal jedoch ein Briefbeschwerer zur Hand. Den Rest erledigt sie mit einem Bügeleisen. Mit der 45er Magnum, die der Kerl ihr hinterläßt, sorgt sie im Laufe des Films für eine Menge Leichen. In den anderen beiden Filmen sind die Handlungen der Frauen verständlich — eine Reaktion auf die Vergewaltiger — während die Männer in ihrer Brutalität und Dummheit als unbegreifliche Wesen vorgeführt werden. In diesem Film ist die Frau mindestens genauso unbegreiflich, womit Ferrara ihr die Würde einer antiken Heldin gibt. Mit ihrer 45er Magnum zieht Thana nachts, als klassischer Köder aufgetakelt, durch die Straßen und sucht sich ihre Opfer, Männer, die in irgendeiner Form Interesse an Sex bekunden.
Ferrara macht aus den Morden keine große Sache. Sie sind blitzschnell vorbei, und was bleibt, ist nicht der Eindruck von Gewalt, sondern von Schönheit. Ein poetischer Film über das Töten. In einer Szene folgt Thana einem Mann, der sie fotografieren möchte. Die beiden fahren im Fahrstuhl in seine Wohnung (!), die Tür geht auf und man steht praktisch direkt in seiner Wohnung. Er verläßt den Fahrstuhl, während sie stehenbleibt, ihren Revolver aus der Handtasche holt und das ganze Magazin abfeuert. Dann schließt sich die Fahrstuhltür wieder. Es ist, als würden sich ihr selbst die Dinge unterordnen und ihren glorreichen Feldzug unterstützen. In der letzten Szene, bei einem Maskenball, zu dem sie als Nonne verkleidet erscheint, bewegt sich die Kamera wie suchend über die Anwesenden und verweilt kurz auf einigen Männern, markiert diejenigen, die von Thana erschossen werden. Männer haben in diesem Spiel absolut nichts zu gewinnen. Es ist eine Frau, die schließlich den Zauber bricht.
Spieltermine siehe Programmteil.
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