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Krieg der Clans in Aserbaidschan

Aserbaidschanisches Parlament setzt den geflohenen Präsidenten Eltschibej formal ab / Starker Mann Gaidar Alijew steigt auf – aber der Machtkampf ist noch nicht entschieden  ■ Aus Baku Klaus-Helge Donath

„Das Haupt der Familie stiehlt sich davon, will aber weiterhin das Sagen haben. Wo gibt's denn so was?“ frotzelt Tschingis Abdullajew, der Sekretär des aserbaidschanischen Schriftstellerverbandes. „Wir leben doch im Osten, bei uns ist das glatter Verrat. Wer so handelt, hat jedes moralische Recht verwirkt.“ Abdullajew bringt kein Verständnis auf für den überstürzten Rückzug Präsident Eltschibejs in die kleine Enklave Nachitschewan. Der Sekretär kommt gerade von einem Treffen mit Vertretern der Intelligenz im Schriftstellerverband: Dort sei man einhellig der gleichen Meinung.

Durch die offene Balkontür dringen Redefetzen von der gegenüberliegenden Straßenseite herein. Hier hat die „Volksfront“ ihr Stabsquartier. Seit Tagen sammeln sich davor einige hundert Anhänger Eltschibejs. Noch vor Jahresfrist jubelten ihm die Massen zu. Sie sind jetzt verschwunden. „Erst kommt Allah, dann Abulfaz Eltschibej“, lautete es einmal. Vergangenheit.

Inzwischen hat das Parlament den Präsidenten seiner Amtsvollmachten enthoben. Dessen letzten Ukas, in dem er Kontrolle über die Schlüsselministerien Verteidigung, Inneres und Äußeres dem Parlament und seinem Vorsitzenden Gaidar Alijew übertrug, erkannte die Legislative nicht an. Alijew ist nun Präsident – und der Gewinner der Stunde. Zwölf Jahre lang führte der Altkommunist die Geschicke Aserbaidschans. Bis er in Moskau in Ungnade fiel, Korruptionsvorwürfe waren wohl auch mit im Spiel. Doch was heißt das in einer Region, wo Familienclans das Schicksal des Landes mit- oder gegeneinander entscheiden?

Eins ist auf den Straßen Bakus klar: die Rückkehr des Altfunktionärs an die Macht beunruhigt nur eine Minderheit. Das Volk möchte Ruhe, und das garantiert nur ein starker Mann wie Alijew. Er bringt Erfahrungen und alte Kontakte mit. Dergleichen läßt sich an allen Ecken der Stadt hören. Von „Demokratie“ reden hier nur noch die Vertreter der Volksfront Eltschibejs – aber gerade ihnen wird vorgeworfen, Gesetz und Recht mit Füßen getreten und sich schamlos bereichert zu haben.

Doch auch nach der Entscheidung des Parlaments, Eltschibej zu entthronen, ist das Machtvakuum in Baku nicht beseitigt. Der Rebellenführer Husseinow, der mit seinen Truppen Eltschibej zum Rücktritt zwingen wollte, hat sich noch nicht geäußert. Husseinow ist wegen seiner Kriegstaten in Nagorny Karabach ein Volksheld. Politiker und einfache Leute nennen ihn einfach beim Vornamen „Surat“. Sein ungehinderter Vormarsch auf Baku, bei dem kaum ein Schuß fiel, sagt einiges über seine Autorität. Die reguläre Armee ließ ihn passieren.

Andererseits sehen in Husseinow nur wenige einen zukünftigen Verantwortungsträger. Das Militär an der Macht wünschen sie sich nicht. Hinter ihm steckt – so wird gemunkelt – ein anderer Clan. Ihn repräsentiert Ajas Nijasoglu Mutalibow, wie Alijew ehemaliges Politbüromitglied der KPdSU und Republikchef. Er war unmittelbarer Vorgänger Eltschibejs, bis ihn die Volksfront Anfang 1992 in einem auch nicht gerade verfassungskonformen Vorgang aus Amt und Würden trieb. Mutalibow lebt in Moskau; ihm werden keine großen Chancen eingeräumt, an die Macht zurückzukehren. Vielleicht sucht er deswegen eine Allianz mit Husseinow, dessen Truppen allerdings auch nicht ausreichen sollen, um das Land unter seine Kontrolle zu bringen.

Das behauptet zumindest Ittibar Mamedow, der Vorsitzende der Nationalen Unabhängigkeitspartei. Sein Mamedow-Clan ist einer der fünf mächtigsten in Aserbaidschan. Eltschibej hatte ihm in letzter Minute noch den Posten des Premierministers angeboten. Mamedow lehnte dankend ab. Er wußte schon warum. Nach dem Gemetzel in der Stadt Gandscha, das den Anstoß für Husseinows Rebellion gegeben hatte, war Mamedow der erste, der sich mit Husseinow traf. Das Gerangel um die Aufteilung der Macht zwischen den Clans ist in Baku noch nicht entschieden.

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