piwik no script img

Das Ende der Heidenzeit

■ Bezirkskongreß der "Zeugen Jehovas" im Weserstadion / "Keine Interviews"

Das Ende der Heidenzeit

Bezirkskongreß der „Zeugen Jehovas“ im Weserstadion / „Keine Interviews“

Der wahre Glaube hält schön kühl. Während sich im Stadion- Bad die leichtbekleideten BremerInnen vor der brütenden Hitze ins Wasser flüchten, schauen ihnen vom Oberring des Weserstadions die Männer in weißen Hemden, Schlips und Jackett ungerührt zu. Eigentlich sollten sie hier gar nicht stehen und sich von weltlichen Dingen ablenken lassen. Eigentlich sollten sie wie ihre Brüder und Schwestern im Stadion sitzen und sich erbauen. Denn die 11.000 „Zeugen Jehovas“ sind nicht zum Spaß ins Weserstadion gekommen, sondern um ihren jährlichen Bezirkskongreß mit dem Titel „Göttliche Belehrung“ abzuhalten.

Wo sonst Olli Reck das Werder-Tor hütet, steht ein Zelt. Von dort spricht, nein liest, ein Prediger ins weite Stadionrund. Die Menschen sitzen still in den unbequemen Schalensitzen, halten eine Bibel aufgeschlagen auf den den Knien und schreiben die Worte des Redners eifrig mit. Thema ist „Die christliche Ehe“. Für Bruder Pein liegt der Schlüssel zum Glück in der „göttlichen Belehrung: Vertraue auf Jehova, Deinen Gott, und nicht auf Deinen Verstand.“ Ehen scheitern nämlich vor allem am „weltlichen Unabhängigkeitsdenken“. Wenn sie mit diesem Denken „von außen bombardiert wurde“, erzählt Schwester Borgisch der Versammlung, oder bei Schwierigkeiten, den Ehemann als „ihr Haupt“ anzuerkennen, habe die Bibel ihr geholfen. Der Mann als Oberhaupt, die Frau am Herd, die Kinder gehorsam: Bruder Pein predigt ein stockkonservatives Familienideal.

Im Gegensatz zu Kirchentagen gibt es beim Bezirkskongreß der Zeugen Jehovas keine Kontroversen und keine erregten Diskussionen. Ein Ringen um den wahren Glauben ist nicht erkennbar. Für die Zeugen Jehovas ist alles ganz einfach: „Was die Bibel sagt, das stimmt. Die Welt hat sich verändert in 2000 Jahren, die Bibel nicht.“ Fest verankert in seinem Glauben ist Gerd Somberg, der die Presse betreut und ein bißchen bewacht: „Keine Interviews mit den Teilnehmern“ ist seine Bitte. Höflich aber bestimmt weist er auf das Hausrecht hin, daß die Glaubensgemeinschaft für vier Tage im Stadion ausübt. Überall stehen starke junge Ordner mit Sonnenbrillen.

Für die „Bremer Sport- und Freizeit-GmbH“ sind die Zeugen Jehovas angenehme Kunden: Vor dem Kongreß rückten knapp 1000 Gläubige an und schrubbten das Weserstadion blitzblank: „Jede Zigarettenkippe haben sie aufgehoben“, erzählt Jochen Brünjes, denn für die Dauer der Veranstaltung gilt das Stadion als „Königssaal“, als Gotteshaus. „Eine fünfstellige Summe pro Tag“ kostet das Stadion. Alles Spenden, sagt Somberg: „Mit Geld hatten wir nie Probleme“.

„Die Bibel ist die absolute Wahrheit“, ist das Credo der Zeugen Jehovas. Ihr bibeltreuer - man könnte auch sagen: fundamentalistischer — Glaube verbietet ihnen die Aufnahme von Rauchern, Alkoholikern und Homosexuellen in ihre Gemeinschaft. „Wir erwarten in naher Zukunft das Armageddon, die Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse. Christus hat jetzt das Ende der Heidenzeit angekündigt.“ Kein Wunder, daß unser Fotograf bei der Vorstellung seinen Namen nur genuschelt hatte: „Gestatten, Jörg Oberheide.“

Bernhard Pötter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen