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Nebensachen aus MoskauMobile Immobilien

■ Die Geburt des Kapitalismus: Wer kein Geld hat, verkauft Häuser

Vizepräsident Alexander Ruzkoi fand überhaupt nichts dabei. Eben noch zieh er die Regierung coram publico der Korruption, forderte Konsequenzen und Entlassungen. Er dagegen ein bescheidener, zum Bettelstab verurteilter Staatsdiener, der sich nichts, aber auch rein gar nichts leisten würde. Ein paar tausend Rubel Monatslohn – das wär's dann schon.

Die Gegenseite blieb nicht untätig. Wenige Kilometer vor Moskau entdeckte sie in feinster Wohngegend ein Anwesen, das sich schon in statu nascendi anschickte, opulent zu werden. Wem das? Die Baubrigade schwieg – zunächst. So ist es üblich bei besonderen Brigaden aus besonderen Ministerien (die gibt es noch). Schließlich schlüpfte es doch durch den Zaun. Apropos Zaun – stimmten die Angaben des Vizes, hätte er allein für die Grenzmarken seines Latifundiums noch einige Jahre dienern müssen.

Was sich Ruzkoi gönnte, dem wollte Ljuba nicht ganz nachstehen. In letzter Zeit werden kräftig Immobilien hin und herbewegt, die Zeitungen sind voll mit Anzeigen. Die Preise schießen von Woche zu Woche weiter in die Höhe. Eine Zukunftsinvestition – würden wir im Westen sagen. Die Russen trauen ihrer Zukunft noch nicht so ganz, und Ljuba im besonderen frönt dem Prinzip carpe diem et pecuniam. Also: Ljuba, mit Geld eher durchschnittlich ausgestattet, verkaufte ihre Wohnung am Stadtrand. Ein kleines stattliches Sümmchen kam zusammen. Sofort wurde eine neue Wohnung erstanden und wieder verhökert.

So kam Krume zu Krume und die glänzende Idee, immerhin das Geld arbeiten zu lassen. Mit ihren Möbeln zog Ljuba zurück zu ihren Eltern. Die sind jetzt wirklich immobil. Denn nur in der Küche bleibt Platz zum Drehen.

Da tauchten wie gerufen zwei jugendliche „Geschäftsleute“ auf. Sie brachten einen Kontakt mit – ins Landwirtschaftsministerium. Das klang vielversprechend. Ein Grundstück knappe hundert Kilometer vor Moskau wurde in Augenschein genommen. Beste Adresse. Ljuba gab den beiden das Geld und wartete auf die Eintragung ins Grundbuch. Nichts bewegte sich. Sie rückte dem Bürokraten auf die Pelle, der das Geld erhalten hatte. Der, nennen wir ihn mal Sergej Fjodorowitsch, bekam kalte Füße und schlug ein Alternativgeschäft vor. Das Geld konnte er nicht mehr auftreiben.

So kam der Kontakt zu Tamara Alexandrowna zustande. Sie wollte ihre 130 Jahre alte Datscha mit 1.500 Quadratmetern Land mitten in einem Naturschutzgebiet verkaufen. Ein bezauberndes Fleckchen, in dem sich nicht zufällig auch die Regierung niedergelassen hat. Sergej Fjodorowitsch war Tamara Alexandrownas Agent – sozusagen. Die beiden Frauen, Tamara und Ljuba, fanden sogleich Gefallen aneinander und teilten ihre Aversionen gegen Fjodorowitsch. Tamara zog ihr Angebot an den Bürokraten zurück und einigte sich mit Ljuba, unter der Hand. Fjodorowitschs anfängliches Mißtrauen besiegten sie spielend.

Nun mußten Nägel mit Köpfen folgen. Die Immobilie sollte gepflügt und mit einem Zaun versehen werden. Schwierig: Die Vorsitzenden der Dorfsowjets, Vertreter der Macht vor Ort, üben nach wie vor ihre feudale Willkür aus – sie müssen günstig gestimmt werden. Unauffällig wechselten ein paar Ohrringe die Besitzerin.

Am nächsten Tag kam der Traktorist. Ein Glas 98prozentiger Alkohol, mit Wasser verlängert, brachte ihn in Stimmung. Er pflügte drauflos, eben mal tausend Quadratmeter mehr. Ljubas Vater, ein rechtschaffener Mann, äußerte Bedenken. Der Traktorist winkte lässig ab, Ljuba stimmte zu. Was man hat, das hat man. Ein Holzzaun schafft unverrückbare, sozusagen immobile Fakten.

Sergej Fjodorowitsch seinerseits wollte den Makel der Unaufrichtigkeit nicht auf sich sitzenlassen. Die beiden „Geschäftsleute“ waren an allem schuld. Mit Ljubas Geld hatten sie ihr Grundstück bezahlt, eine Woche später dann das andere. Nur war die Vorsitzende des örtichen Rates, des Sowjets, mißtrauisch geworden. Für eine gestandene Kommunistin wie sie ist der Handel mit Grund und Boden eine Todsünde. Umgehend widerrief sie die Entscheidung zur Veräußerung.

Letzte Woche waren Fjodorowitsch und Ljuba bei ihr. Irgendwie fanden die beiden Frauen, die Vorsitzende und Ljuba, Gefallen aneinander und teilten ihre Aversionen gegen Fjodorowitsch. Die Sowjetvorsitzende versprach, in den nächsten Tagen die Formalitäten zu erledigen. Und Wiktor, Fjodorowitschs Agent vor Ort, bot gleich noch ein günstiges Häuschen an. Sollte sich irgendwie Geld finden, wartet da ein paradiesisches Hanggrundstück direkt über der Wolga. In wirklich allerbester Nachbarschaft... Klaus-Helge Donath

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