: Kein strickendes Heimchen
■ Aus einem Hinterhof im Viertel: Strickdesign in Edelmatt / "Die Farbe ist heute alle in die Sportklamotten gewandert"
Kein strickendes Heimchen
Aus einem Hinterhof im Viertel: Strickdesign in Edelmatt / "Die Farbe ist heute alle in die Sportklamotten gewandert“
Wollknäuel und Garnspulen vom Boden bis zur Decke. In allen Farben und oft nur über eine Leiter zu erreichen. Was im hellen Atelier an Fäden in Tintenblau, Beige, Schilfgrün und Senfgelb lagert, ist der Stoff, aus dem Cordula Büngers Pullover sind. Mitten in diesem
„Spontan? Stricken Sie mal spontan einen Pullover, dann sehen Sie, was da für ein Lappen herauskommt!“
Farbenmeer sitzt die 39jährige an ihrer beleuchteten Strickmaschine. Geduldig führt sie den Schlitten von einer Seite zur anderen.
Ein Original entsteht. Klar und graphisch gestaltet mit Raffinesse im Detail — so sehen die kostbaren Pullover, kurzen Jacken, Stirnbänder und Röcke aus dem Kleinunternehmen im Bremer „Atelierhof“ aus. Dem Trend entsprechend kommen ihre Originale aus Schurwolle von Schaf oder Alpaka derzeit mit wenigen Farben aus. „Die Farbe ist heute in die Sportklamotten gewandert“, sagt sie.
Cordula Bünger, eine der wenigen Strick-Designerinnen in Bremen, arbeitet mit ihrem Lebensgefährten zusammen. Einen Tag brauchen sie für einen Pullover, Brainstorming und Planung nicht inbegriffen. Entwürfe, Maschenproben, Berechnen, Formstricken, Dämpfen, Zusammennähen und — ganz wichtig — das Einnähen des Etiketts mit dem Schriftzug „Cordula“ — diese ganzen Arbeitsschritte läßt sich die Designerin bezahlen: mit
Cordula Bünger beim Emsigsein in ihrer WerkstattFoto: Katja Heddinga
rund 400 Mark pro Pullover.
Mit Spontaneität hat der Beruf des Duos wenig zu tun. „Stricken Sie mal spontan einen Pullover“, sagt Partner Udo Kieckhefen, „dann sehen Sie, was da für ein Lappen herauskommt“. Cordula Bünger schiebt die Vase mit Rosen beiseite und demonstriert die Prozedur anhand von Fotos und Entwürfen. In acht Farbkompositionen testet sie bisweilen die Wirkung eines Musters. Aber nur solange es heiß ist und niemand nach Pullovern schreit, hat sie Arme, Kopf und Rücken frei für
hierhin bitte das Foto
von der Frau in der
Werkstatt an der
Strickmaschine
solche Experimente.
Endlich Zeit, mit schrillen Designer-Stücken über die Strenge zu schlagen? Nein. Zwar produziert das zurückhaltende Paar schon mal einen Metallpulli aus Kupferdraht oder schrill getigerte Sesselstrickbezüge. Doch abgesehen von solchen Skurrilitäten: Ihre Textilkunst - etwa 120 Pullover im Jahr (auch für Männer) — soll „tragbar schön und zum Typ passend“ sein. Einen „eigenen Stil auf Biegen und Brechen“, wie ihn etwa Modemacherin Gil Sander pflegt, können und
wollen sie sich nicht leisten. Um Trendsetterin zu sein, sagt die gebürtige Mannheimerin, sei sie viel zu „weich“. „in der Handschrift eigen, aber im Stil flexibel“ arbeitet sie deshalb auch auf Bestellung und nach Maß.
Leben kann Cordula Bünger inzwischen von ihrer Mode einigermaßen gut. Ein Erfolg, der auch mit dem Künstlerprojekt „Atelierhof“ zu tun hat. Hier hat sie mit Malern, einer Töpferin, einer Gemälderestauratorin, einer Geigenbauerin, mit Möbeldesignern und einer Schneidermeisterin ihre ersten Kritiker vor der Tür. Hier, durch die Weser von ihrer Wohnung getrennt, konnte sie sich vom Klischee des strickenden Heimchens nach und nach befreien.
Daß Stricken unter den weiblichen Arbeiten als besonders hausbacken gilt, läßt sich ihrer Meinung nach aus der Geschichte erklären: Im 19. Jahrhundert waren Strümpfestricken und Spinnen in Industrieschulen und Gefängnissen eine gehaßte Strafarbeit. Aus dieser Zeit haben sich bis heute abwertende Ausdrücke gehalten wie „immer nach dem gleichen Muster gestrickt“.
Die Ideen werden so schnell nicht ausgehen: Anregungen für kühne Farbkompositionen liefern notfalls auch Muster und Strukturen in der Umgebung, zum Beispiel die differenzierte Farbabstufung eines Mooses im Gebirge oder die atemberaubenden Muster exotischer Fische. Vorbilder gibt es auch: Neben modernen Künstlern wie Paul Klee beruft sich die Wahl-Bremerin Bünger gerne auf Orientteppiche und afrikanische Textilien. Sabine Komm
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