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Durchs Spechtloch in die Dürerzeit

Die Bildhauerwerkstatt des Niklaus Weckmann in Ulm um 1500. Eine Ausstellung in Stuttgart  ■ Von Christoph Danelzik

Wer den Ausstellungssaal im zweiten Stock des Museums über die Treppe erklimmt, kann en passant die Verwandlung eines Baumstamms in einen Heiligen mitverfolgen. Mit der Erkenntnis, daß auch das Heilige handgefertigt ist, läßt sich danach der eigentliche Rundgang gut beginnen.

Spätmittelalterliche Kunst hat im derzeitigen Kulturleben einen schweren Stand. Von seiten der Forschung zuerst stilgeschichtlich und dann ikonographisch mehrfach sortiert, erscheint sie momentan ausgezählt. Am Mittelalterboom der vergangenen Jahre, der zahlreiche mentalitätengeschichtliche Bücher hervorbrachte, waren Malerei und Plastik unbeteiligt – im Gegensatz zur Architektur.

Das scheint nun vorbei zu sein. In Aachen präsentiert eine Ausstellung des Suermondt-Ludwig- Museum eine Menagerie hölzerner Heiligen („Von der Erde zum Himmel“), als einen Beitrag zur Geschichte der Frömmigkeit. Als Anlaß dient die im siebenjährigen Turnus stattfindende „Heiligtumsfahrt“, zu der in wahrhaft mittelalterlichem Geist Aachens Top-Reliquien vom Balkon des Münsters hängen, etwa die Windeln Christi und Mariae Milchtuch.

Erheblich profaner nimmt sich dagegen die Ausstellung des Württembergischen Landesmuseums aus. Punktgenau zur Internationalen Gartenbau-Ausstellung eröffnet, zählt sie zu der Handvoll von Expositionen, die das Fiasko der IGA mildern. Was im Alten Schloß auf 1000 qm gezeigt wird, ist das Ergebnis fleißiger – und zunächst positivistischer – Forschung sowie Produkt umfangreicher konservatorischer Arbeit.

Viele der bislang Jörg Syrlin d.J. zugeschriebene Skulpturen stammen aus der Werkstatt Niklaus Weckmanns. Wie kommt es, daß dieser aufregende neue Befund zum Ausgangspunkt einer fesselnden Zeitreise wird? Dem Team des Landesmuseums gelang die Quadratur des Kreises: Forschungsergebnisse unterschiedlicher Ansätze aufeinander zu beziehen und sowohl die Kunstwerke als auch die Forschungsarbeit selber spannend und klug zu präsentieren.

Zu sehen sind zahlreiche Einzelfiguren und Altäre. Die Versammlung von 15 Altären auf engem Raum erinnert an eine Saurierausstellung. Zum Meditieren lädt der Aufbau nicht ein, aber zu einem rauschhaften Seh- und Lernvergnügen. Auf Tuchfühlung mit den fein gearbeiteten Skulpturen, entsteht beinahe das Gefühl, durch eine Menge Ulmer BürgerInnen des Jahres 1500 zu spazieren.

Niklaus Weckmann gründete im ausgehenden 15.Jahrhundert in Ulm eine erfolgreiche Bildhauerwerkstatt, die bis 1528 nachweisbar ist. Über 600 Bildwerke sind erhalten, eine unbekannte Zahl ging verloren, einige werden in Dokumenten erwähnt. Auch wenn die im Katalog zitierte Formel übertrieben scheint, derzufolge nur zehn Prozent der mittelalterlichen Kunstwerke erhalten sind, Weckmann mithin 6.000 produziert habe – beachtlich ist die Zahl der jährlich wenigstens 70 Arbeiten, die seine Werkstatt verließen.

Bei ihnen handelt es sich nicht nur um einzelne Skulpturen. Vielmehr fungierte Weckmann als Subunternehmer Jörg Syrlins. Während dieser Kasten und Gesprenge eines Altars zimmerte und schnitzte, beauftragte er Weckmann und seine Zunftgenossen mit den Bildhauerarbeiten sowie Ulmer Maler mit den Tafelbildern.

Nicht nur die Zeitläufte, sondern auch ältere Auffassungen von Musealisierung mittelalterlicher Kunst rissen viele Ensembles auseinander. Einige von ihnen wieder zusammenzufügen, ist ein großes Verdienst dieser Ausstellung. Die Isolierung der Plastiken und Tafelmalereien bedeutete eine zweifache Umdeutung der Objekte. Es wurde ihnen jeder Rest sakraler Aura genommen und sie verloren ihre kompositorischen Bezüge. Übrig blieben Einzelstücke von fraglicher Autonomie.

In Stuttgart wird nunmehr die frühere kultische Bedeutung der Werke deutlich, ohne sie wiederzubeleben. Statt dessen gelingt es, das Entstehen des Kultobjekts aus profanen Materialien und durch alltägliche Arbeit transparent zu machen. Der Bildhauer schuf nur die Voraussetzungen für die Heiligung seines Objekts, die erst durch dessen Installation in der Kirche erreicht wurde.

Schönheit war nicht das alleinige Kriterium dieser Kunst. Der Motivgestaltung waren enge Grenzen gesetzt. In der Ikonographie existierte eine Zeichensprache, mit der sich die abgebildeten Personen aufgrund ihrer Attribute identifizieren ließen. Odilie, die als Heidin von einem Bischof das Augenlicht erhielt, etwa trägt ein Augenpaar vor sich her.

Ungewöhnlich ist die Vorführung eines weiteren Aspekts der Produktion. Bei vielen Stücken handelt es sich um Massenware. So werden acht hl.Sebastiane präsentiert, die sich beileibe nicht gleichen wie handgefräste Oberammergauer Schnitzereien, gleichwohl auch im Werkstattbetrieb einige Arbeitsgänge normiert waren. Erst nach der Herausarbeitung der Gewänder entschied sich, ob aus dem Holz ein Ambrosius oder eine Maria wurde. Versatzstücke wurden immer neu kombiniert, um künstlerische Qualität mit rationellem Arbeiten zu verbinden. Quasi als Signatur wurden den Skulpturen nach der Aushöhlung der Rückenpartie noch die Köpfe entkernt, empfingen sie ein tonsurähnliches Spechtloch. Weckmanns Arbeitsweise paßte sich übrigens den Vertragsdotierungen an. So entstanden neben den anspruchsvollen Werken auch schlichte Fassungen.

In der nachgestellten Werkstatt schließen sich weitere Fragen auf, die im Rundgang eigenständig verfolgt werden können, so die Geschichte der farbigen Fassung von Schnitzbildern. Jede Generation bemalte die alten Figuren nach eigenem Gusto, seifte ältere Schichten ab, um neu zu tünchen. Holzsichtigkeit galt als materialästhetischer Wert nur in der Entstehungszeit der Weckmannschen Arbeiten und in der Moderne. Die RestauratorInnen stehen immer schon vor dem Problem, welchen Zustand sie letztlich herstellen sollen.

Fast schon überfüllt ist die Ausstellung mit Objekten und Anregungen. Fragen werden anschaulich gemacht und spätestens im Katalog auch beantwortet: die Konkurrenz von Spätgotik und Renaissance in den Altarensembles ebenso wie der protestantische Bildersturm, der in Ulm 1531 stattfand. Vermutlich war Niklaus Weckmann schon drei Jahre früher gestorben. Seine Lebensspanne umfaßt Blüte und Ende des spätmittelalterlichen Kultbildes. Der Markt für Altäre und hölzerne Heilige war gesättigt. Und nach dem Bildersturm knüpfte auch die katholische Kirche nicht mehr an die vorreformatorische Tradition an.

„Meisterwerke massenhaft. Die Bildhauerwerkstatt des Niklaus Weckmann und die Malerei in Ulm um 1500“. Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, bis 1.8.1993. Katalog: 58DM

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