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Die Jagd auf falsche Hasen Von Ralf Sotscheck

Der völlig sinnlose Dauerlauf am Rand von Hauptverkehrsstraßen hat auch vor England nicht haltgemacht. Ulkigerweise hat ihr Freizeitvergnügen einen traditionell deutschen Namen: „Jogging.“ Doch die EngländerInnen würden ihrem Ruf nicht gerecht, hätten sie nicht auch hier eine perversere Variante zu bieten. Wer in Wessex ahnungslos durch die Wälder läuft, könnte unverhofft einem Hasen begegnen — allerdings einem zweibeinigen mit aufgeschnallten, braunen Schlappohren. Das ist ein Grund zur Beunruhigung, gehört der falsche Hase doch mit Sicherheit einem Team von Verrückten an, die regelmäßig Jagden organisieren. Die Regeln sind denkbar einfach: Drei Leute, denen der Sinn für Peinlichkeit längst abhanden gekommen ist, setzen sich die langen Ohren auf und legen für ein Rudel „Hunde“ eine Fährte aus Sägespänen. Die Köter, die in Wahrheit nicht minder verrückte Zweibeiner sind und pausenlos „on, on“ bellen, hetzen hinter den „Hasen“ durch Wasser, Wald und Wiese her, um sie zu fangen.

Die Jagd auf falsche Hasen ist übrigens keineswegs eine neue Erfindung, EngländerInnen waren auch früher schon exzentrisch. Bereits Ende der dreißiger Jahre flitzten schlappohrige Kolonialherren — gefolgt von bellenden Aristokraten — durch die Wälder Malaysias, um sich die Langeweile zu vertreiben. Die Kolonialisten trafen sich im Selangor Club, den sie „Hash House“ tauften — nicht etwa wegen gemeinsamen Drogenmißbrauchs, sondern wegen des Kantinenfraßes, der hauptsächlich aus Gehacktem (hash) bestand. Noch heute heißen die Hasenjagdclubs „Hash House Harriers“. Davon gibt es weltweit mehr als tausend, die meisten davon in Malaysia und den USA, aber auch im Gorki Park von Moskau, wo sich das britische Botschaftspersonal der Hasenhatz verschrieben hat.

In Großbritannien sind 93 Vereine registriert. Freilich stößt ihr bizarrer Freizeitspaß nicht überall auf Verständnis. Die blauen Papierschnipsel, die dem Sägemehl beigemischt sind, um die Fährte deutlicher zu machen, haben des öfteren das Mißtrauen der Bevölkerung erregt. Manchmal fegen Leute das Zeug einfach weg, weil sie es für Rattengift halten. In Dorset beschlagnahmte das Landratsamt gar die gesamte Fährte, um sie im Labor untersuchen zu lassen. Eine Zeitung hatte nämlich am Vortag mit der Schlagzeile aufgemacht: „Hundekiller treiben ihr Unwesen.“

Nichts liegt den Haschhäuslern jedoch ferner, als irgend jemandem ein Leid zuzufügen. „Das Ganze ist ein großartiger Gleichmacher“, sagt der 75jährige Rentner Phil Davies. „Wir haben Taxifahrer und Anwälte, Arbeitslose und Botschafter, aber wir sind alle gleich.“ Hascht der Premierminister John Major, der ständig die klassenlose Gesellschaft beschwört, etwa auch? Die friedliche Jagd ist vermutlich das einzige Wettrennen, bei dem die Schnellsten und die Langsamsten gleichzeitig ins Ziel kommen, weil Kurzatmige Abkürzungen nehmen dürfen. Das Ziel ist stets eine Kneipe. „Hashing“ sei eine Spülung des Geistes, sagt der Großmeister der „Wessex Hash House Harriers“. Mindestens ebenso wichtig ist offenbar die gemeinsame Spülung von Hund- und Hasennieren im Pub nach der Hatz.

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