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Macht libidinöser Pose

Scheinbar unkompliziert: Will McBrides Schwarzweißfotografien im Haus am Waldsee. Eine obsessive Besetzung des jugendlichen Geheimnisses als Movens und Ruin des Fotografen  ■ Von Brigitte Werneburg

Der Fotograf Will McBride arbeitet in den letzten Jahren vornehmlich als Skulpteur von Knabenfiguren. Und vergöttert eine bis ins Detail definierte Jungenschönheit: „dünn, mit gutem Knochenbau und guten Muskeln, einem intelligenten Gesicht mit klaren Augen und vollem Mund, hohen Wangenknochen, keiner zu großen Nase, einem flachen Bauch, einem kräftigen Hintern und langen Beinen, großen Füßen und Händen“ (Mc Bride). Diese geradezu wunderlich exakte Bestimmung dessen was schön ist, endet schließlich in dem ebenso wunderlichen Realismus in Bronze gegossener Ephebengestalten. Gegenüber den Epheben früherer Zeiten, etwa denen des nachrevolutionären Jacques Louis David, zeigen sie eine auffällige Besonderheit: Sie zeigen ihr Geschlecht. Will McBrides Idée fixe ist dieses Loblied auf die Schönheit des jungenhaft pubertären Phallus. Es ist ihm ernst, das erotische Geheimnis der Pubertät nicht als persönliche Sicht, sondern als gesellschaftlich heilsame Offenbarung (gegen Krieg und Aggression) zu vermitteln.

McBrides obsessiver Kinder- Glaube ist Movens und schließlich auch der Ruin seiner Fotografen- Karriere. Denn eine Ausstellung im Haus am Waldsee über 40 Jahre seines fotografischen Arbeitens zeigt vor allem gegen heute hin ein immer dünner werdendes Oeuvre, dem ein unübersehbarer Bruch Mitte der siebziger Jahre zugrunde liegt.

Will McBride, dem die Handhabung der Kamera letztlich immer als vorläufiges und provisorisches Handeln galt, und die Aufnahme als Vorlage „für etwas, das später kommen sollte“, gelangen in den späten 50er Jahren entsprechend beiläufige und dennoch eindrückliche Fotografien seines privaten Alltags. Der stand plötzlich für den Alltag einer ganzen Generation, die, zwischen 20 und 30 Jahre alt, in einer Zeitschrift namens twen ihr angeblich repräsentatives Forum fand.

1953, nach einem Kunststudium unter anderm bei Norman Rockwell, war McBride als 22jähriger GI nach Europa gekommen. Neben Aufnahmen aus dieser Militärzeit, die mit den „US-Army-Soldaten, Grafenwöhr, 1954“ in der Ausstellung vertreten ist, sind es vor allem Bilder aus Berlin und Florenz, die bis zu seiner Verpflichtung für die Illustrierte Quick und seinem Aufstieg als twen-Fotograf, McBrides „Foto-Tagebuch 1953 - 1961“ bilden.

Die ausgestellten, überaus sorgfältig bearbeiteten, großformatigen Schwarzweißabzüge zeigen McBride als einen Fotografen, der mit einer Ästhetik, die der professionellen Reportagefotografie entstammt, Portraitfotografie betreibt. Der weggedunkelte oder weggehellte Hintergrund, das grobe Korn, die Überzeichnung der Kontraste und partielle Unschärfen werden in der Reportagefotografie der 60er Jahre ganz bewußt als Beglaubigung der Authentizität der Aufnahme eingesetzt. Neben dieser Ästhetik der Momentaufnahme, deren Regelverletzung gegenüber der bis dahin gültigen Fotografie zu einem eigenen strikten Code erwächst, besticht an McBrides Portraitfotografie, daß die Portraitierten immer im Gestus des Kommunizierens gezeigt sind. Ob er die kleinen Jungs, denen seine Aufmerksamkeit von Anbeginn an gilt, beim „Kriegsspiel auf Ruinengrundstück, Berlin, 1956“ zeigt, beim Aufwärmen, auf dem Asphalt liegend (Berlin, 1957) oder die Mauer am Potsdamer Platz ertastend (nach 1961), immer sind sie in Aktion, stellen sie eine Beziehung zu ihrer Umgebung her, sind sie Eroberer, Erprober, aber auch Hingebene, etwa an die Wärme des Bodens. Seine Jugendlichen umarmen ihre Freundinnen (Evi und Tom, Berlin, 1959), aber auch untereinander werden sie in engem Körperkontakt (Müde Betrunkene, Vatertag, Berlin 1957) gezeigt und balgen sich „Bei Jan in der Wohnung“, Berlin, 1959. Der Szenen erotischer Flair entwächst dem scheinbar unkomplizierten Umgang der Jugendlichen untereinander (Riverboat Shuffle, Sommer, Berlin, 1959), der sich im Anfassen, Umarmen, Streicheln dokumentiert.

Diese erotisch aufgeladenen Portraitsituationen werden schließlich in twen zu regelrechten Bildformeln – make love, not war. Der strikte Code von McBrides Fotoästhetik ermöglichte es, Themen und Ereignisse zu inszenieren, Szenen aus den 50er Jahren in den 60er Jahren nachzustellen und fortzusetzen; vor allem für Quick, etwa „Dein Kind, das unbekannte Wesen“. Der Bruch in seinem fotografischen Werk (1971 wird twen eingestellt), zeigt sich in der immer vehementeren Vermischung der Genres Portrait und Akt; die Jungen stehen nun als einsames, passives Objekt des Künstlers, Bildhauers Will McBride vor der Kamera. Nackt, in gestellter Pose für das Monument der ihnen zugeschriebenen libidinösen Macht. Eine Fotografie aus dem Jahr 1985, „Ricky zerstört eine Ruine, Frankfurt“ erinnert an eine ähnliche Szene in Derek Jarmans „Last of England“ und führt zurück zu McBrides Beginn, den Kinderkriegsspielen in der Berliner Ruinenlandschaft. Es schließt den Kreis aber auch zu seinem seit dreißig Jahren verfolgten Projekt eines „Antikriegsdenkmals“, das seinen kindlichen Helden in geborstenen Mauern fallen sieht.

Bis 1. August, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 10–18 Uhr, Mo. geschlossen. Katalog DM 45.-

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