Wand und Boden: Unendlich auslegbare Aneignungen
■ Kunst in Berlin jetzt: Peter Max, Rumänische Kunst der Neunziger, Iskan und Lothar Lambert, Gabriele Klages
Das Schloßkonstrukt zieht nicht nur Würstchenbuden und Karussells an. Bis zum 3. Oktober hat auch der malende Deutsch- Amerikaner Peter Max, von Freunden der Staatlichen Kunsthalle unterstützt, sein Museumszelt gleich neben der luftigen Residenz aufgeschlagen. Auf einer Videoleinwand wird man über den Stellenwert des Pop-Artisten aufgeklärt, der als gebürtiger Berliner den Hippie-Reigen der Sixties mit Flower-Power und Love- Logos malend initiiert haben soll und sich seit Gerald Ford darüber hinaus als offizieller Präsidentenmaler geriert.
Einige Tatsachen sprechen jedoch gegen die universalistische Vita von Peter Max. So hat er die Cover zu den ersten Schallplatten der Byrds oder der Jimi Hendrix Experience zwar übermalt, aber nicht entworfen. Die Sixties waren also schon vorher da. Trotzdem sind die Poster und Collagen originär psychedelisch. Sein Bild der New Yorker Skyline fügt vierfach Manhattan aus der Vogelperspektive zum Rorschachtest zusammen, und auf einem Selbstporträt mit Saturnringen im Haar wimmelt es von mystischen Anspielungen. Die neueren Bilder dagegen büßen diese romantisierende Kraft ein und enden als Popversion des Fin de siècle im Kitsch. Max wiederholt lediglich Plakatmotive von Toulouse- Lautrec-, Picasso- und Matisse- Ausstellungen.
Der sorglose Umgang mit fremden Federn und Pinseln macht Max eher unfreiwillig zum gelehrigen Illustrator, was auf den Texttafeln zur Ausstellung mit Floskeln wie „geniales handwerkliches Können“ unterschwellig bestätigt wird – auch wenn einer Besucherin gerade das versöhnende Moment der Schau gefällt: „Von den Farben her ein richtig zufriedener Mensch. Und das Nichtraucher-Plakat finde ich so schön.“ Die Anti-Tabak-Kampagne „Life's Beautiful“ stammt aus dem Jahr 1969. Zumindest auf US-Inlandsflügen hat sich die Woodstockgeneration durchgesetzt.
Im Art-Pavillon am Stadtschloß, Unter den Linden, täglich von 10-18 Uhr.
Als Erste Schritte angekündigt, bewegt sich die rumänische Kunst der neunziger Jahre zwischen Ikonenglaube und der Medienfiktion, als die sich die Revolution dargestellt hat. Man merkt den fünf Künstlern, die in der ifa-Galerie an der Friedrichstraße 103 ausstellen, die Unsicherheit beim ideologischen Drahtseilakt an: Sie arbeiten schon wieder an neuen Vorbildern. Feodor Graur beispielsweise hat den einst geweihten fünfzackigen Stern zum Nudelsieb oder für eine Lautsprecherbox umgeschmiedet, und darin den Militaria-Kult in Design fürs private Interieur transformiert.
Vor der unendlich auslegbaren Aneignung von Geschichte schützt sich Dan Mihaltianu mit der Überprüfung unterschiedlicher Bildmaterialien. Alles bleibt zunächst einmal historisch gesehen unergiebig und wird nur vom Kontext bedingt. Ob in Keilrahmen gespannte Blaupause, notdürftig gestopftes Geschirrhandtuch, fettiges Packpapier oder Messingplatten – seine Bilder sind als Tabula rasa für jede Einschreibung offen, aber als elementare Zeugnisse des Alltags verbraucht und abgegriffen. Einer solchen Skepsis gegenüber Bildern begegnet Dan Perjovschi mit der Bilderflut einer wilden Zettelsammlung von etwa 4.500 kleinen Comiczeichnungen, die er zwei Jahre lang als Anthropothek angelegt hat. Sein Anthropos ist immer derselbe Typ, der mal die Arme flehend in die Luft erhebt oder mit ausgestrecktem Zeigefinger droht, dann wieder auf sich selbst gerichtet. Der Finger verwandelt sich zum Revolverlauf, teils steckt die Kanone bereits im Kopf. Die zeigende Hand sieht in der Draufsicht wie eine kleine Kirche aus, oder wie eine Fabrik.
Bis 29.8., Di-Fr 11-13.30/14-18 Uhr, Sa und So 11-13.30/14-17 Uhr.
Der Weg in den Britzer Garten ist lang und beschwerlich. Am U- Bahnhof Alt-Mariendorf schnauzt der Busfahrer drei empörte Rentnerinnen an, die seit 35 Minuten auf seinen Einsatz warten, an der Mohriner Straße muß eine Frau mit Kinderwagen vielleicht weitere 35 Minuten im Regen ausharren, weil der Abstellplatz im Bus bereits besetzt ist. Auf dem BUGA-Gelände verwechselt der Pförtner den Fest- mit dem Kalenderplatz, und auch die Gärtner wissen nicht, wo die Bilder von Iskan und Lothar Lambert hängen sollen. Sie sind in der Orangerie, einem Bistro-Café mitten im frischgemähten Park. Darauf muß man erstmal kommen.
Nach knapp zwei Stunden Anfahrt stellt man betrübt fest, daß sich die Reise nicht unbedingt gelohnt hat. Die Bilder von Lambert schweben an Nylon-Fäden, während sich Iskan, sein Mitstreiter aus früheren Filmen, für eine Petersburger Hängung entschieden hat. Bei Lambert dominieren Beziehungsdramen, Iskan zeigt fröhliche Szenen: Traurige Männer mit Koala-Bären oder Paare im Clinch versus Südfrüchte, Mohnfelder und drei ranke Bäuerinnen, die durch einen Fluß waten. Die Namen Gauguin und Chagall gehen einem zwanghaft durch den Kopf. Das soll so sein, schließlich hat Iskan die Ausstellung „Papa Chagall, Gaugin und Ich“ betitelt. Lamberts „Mixed Couples, Mixed Singles“ bilden von der Spannung im zwischenmenschlichen Elend kaum etwas ab. Die Bilder erinnern ein bißchen an Ina Barfuß und Elvira Bach, malende Frauen der achtziger Jahre. Ansonsten macht der Filmemacher sich die Malerei unnötig schwer. Die Leinwände sind nicht grundiert, also bleiben die Farben gerade auch dann matt, wenn er giftiges Grün oder warme Brauntöne aufträgt. Der Pinselstrich ist sehr italienisch, die Themen weltweit.
Bis 1.8., Di-So 11-16 Uhr.
Im Parkhaus Treptow, wo Wanddurchbrüche, Gipswannen und volle Farbeimer die Renovierung anzeigen, hängen die Kopierbilder von Gabriele Klages. Zeitgleich wird hier renoviert, doch Klages gefällt diese Art öffentlicher Quere. Sie arbeitet sozusagen selbst im öffentlichen Raum: Ihre Kopien stellt sie im Copy- Shop während der allgemeinen Öffnungszeiten her.
Seit Joseph Beuys in den sechziger Jahren die ersten Xerografien von Charles-Wilp-Fotos angefertigt hatte, ist die Kopierkunst zwar vom Reiz des Zerfalls in der Reproduktion abgerückt und zum standardisierten Projektmappenmaterial nicht mehr malender, konzeptueller Künstler geworden. Ob in der Auflösung oder als konstruiertes Raster grob grafisch zerklüfteter Serien – auf den gerahmten Din-A4-Blättern bleibt bei Klages vom Kopier- Prozeß das Spielerische und Ornamentale erhalten. In jeder Körnung verbirgt sich ein neues Subjekt, die Apparatur wird zum Spiegel der Phantasie. Je langsamer sie die Vorlagen unter dem Kopierer bewegt, knittert oder blättert, um so vielschichtiger erscheint das Abbild. Fast hat man den Eindruck, es gäbe etwas wie eine Dimensionenverschiebung. Aus der zweidimensionalen Zeichnung des Rechtecks formen sich während der Belichtungsphase unzählige geraffte Lichtskulpturen, die am Ende des Prozesses zusammengefaltet übrigbleiben. Bei Farbkopien werden die illusionären Objekte zusätzlich durch die veränderbaren Farbwerte gewandelt, wobei den weichgezeichneten Lichtfeldern fast druckgrafische Qualität beikommt: nachtblau und karmesinrot wie im Fernsehen.
Think it – have it, bis 6.8., Puschkinallee 5, Mi-Sa 15-19 Uhr. Harald Fricke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen