piwik no script img

Die revolutionäre Katze

Javier Sotomayor überflügelte sich selbst: Weltrekord über 2,45 Meter / Miß Mannequin Susen Tiedtke bewies Qualitäten als Sandfloh  ■ Von Cornelia Heim

Berlin (taz) – Das ist die Höhe: Der Kubaner Javier Sotomayor flog über 2,45 Meter. Höhenflug in Salamanca, das damit nicht nur eine der schönsten Kathedralen sein eigen nennt, sondern auch den zweiten Weltrekord im Hochsprung. „Diese Anlage liegt mir“, schwärmte der Olympiasieger. Bereits 1988, kurz vor Seoul, das Kuba boykottierte, sprang die „Katze“ (Mögenburg über Sotomayor) im spanischen Provinzstädtchen Weltrekord: Damals 2,43 m. Und damals tönte er vollmundig: „Das ist nicht mein letztes Wort.“ Die Konkurrenz war beeindruckt. Und Soto überließ ihnen gnädig olympisches Gold. „Wir revolutionären Sportler haben unseren eigenen Ideale.“

2,44 m im nacholympischen Jahr 89 war seine Antwort für die Rivalen auf der Schaumstoffmatte. Und die kniffen seinerzeit kleinlaut den Schwanz ein. Dietmar Mögenburg: „Es wird schwer, Soto zu schlagen.“ Doch Soto schlug sich erst mal selbst. Eine Knieverletzung zwang ihn zwei Jahre lang in die Knie.

Vier Jahre ließ Soto sich Zeit. Letzte Woche unter dem Big Ben schien seine große Stunde zu schlagen. Als die Mit-Springer wegen Regen und Wind kalte Füße bekamen, deutete der Kubaner mit einem kraftvollen 2,40-Meter- Sprung an, daß die Katze das Springen nicht verlernt hat. Eine Woche später fiel der Rekord und nicht die Latte. Ein winziges Zentimeterchen höher binnen vier Jahren. 100 Millimeter können dort, wo die Luft immer dünner wird, Äonen bedeuten.

An Selbstbewußtsein hat es dem Sportstudenten nie gemangelt. In jüngster Zeit zwar hat Soto eher die Boulevardblätter zu verbalen Ausflügen auf Höhen Fantasias animiert – wegen eines unehelichen Kindes, das kurz nach der Geburt starb, weil Mutter Ana Quirot ihre Wohnung beim Bügeln in Brand setzte – als die Sportjournalisten zu Elogen. Mit 14 Lenzen hatte er die Latte erstmals bei 2,00 m überquert. Und Trainer José Godoy, der Soto 1982 entdeckte und ihm seitdem Flügel verlieh, verkündete bereits vor vier Jahren: „2,45 traue ich ihm bald zu.“ So, was nun? Die mittlerweile 25jährige Katze, die wieder ohne Bandage rumhüpft, und die all ihre Sprungkraft in die letzten fünf Anlaufschritte legt, klärt uns wie folgt auf: „Weltrekord, das war mein erstes Saisonziel.“ Abgehakt. Und das zweite? „WM-Titel in Stuttgart“ – folgt sogleich?

„Ich weiß, daß ich ein Neun-Meter-Springer bin“, prophezeite Mike Powell, als er seinen größten Satz amachte (8,95 m) und Bob Beamon nach 23 Jahren Alleinherrschaft verdrängte. In Salamanca war der 30jährige Kalifornier, der nur deshalb Leichtathlet ist, weil ihn die Basketballtrainer verschmähten, wieder einmal der sprunggewaltigste Sandfloh: 8,70 m, Jahresweltbestleistung.

Von Spanien nach Italien. Sestriere, die roten Blutkörperchen hyperaktivieren, 2.020 Höhenmeter erleichtern Höchstleistung. So bei Susen Tiedtke. „Miß Mannequin“ ließ „Mrs. Weitsprung“ auch bei sportlichen Sandkastenspielen ins Hintertreffen geraten. Erstmals schlug die 24jährige Berlinerin, die mit 16 vom Schwebebalken zur Leichtathletik entschwebte, die Olympiasiegerin. Heike Drechsler mußte mit 7,12 Meter auf Platz zwei vorliebnehmen. Die Deutsche Meisterin, die sich über ihren Titel nur halb freute, weil die Königin der Sandgrube gefehlt hatte, kann nach dem direkten Vergleich doppelt triumphieren: Sieben Zentimeter sprang sie weiter.

„Der Beste ist der, der gewinnt.“ Mit Weisheiten, die einem Sepp Herberger zur Ehre gereichten, macht Colin Jackson von sich reden. Aber nicht nur die Verbalartistik beherrscht der Brite. Auch in der Akrobatik über 110 Meter Hürden ist er nicht schlecht. Er gewann und, na klar, ist der beste in Europa. 12,97 Sekunden, Europarekord. Auch er hat sich damit selbst übertroffen. Seine alter Rekord lag bei 13,04 Sekunden. Nur Roger Kingdom (12,92) und Renaldo Nehemiah (12,93) waren schon mal besser.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen