: Dann lieber doch daheim geblieben ...
Der Konkurs der Frankfurter „MP Travel Line“ kündigt den Beginn einer Krise in der Touristikbranche an / Folgen der Mordanschläge in Florida werden in der nächsten Saison spürbar ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Für 799 Mark eine Woche nach Florida – mit derartigen Angeboten versuchte die MP Travel Line aus Frankfurt KundInnen anzulocken. „Das konnte betriebswirtschaflich gesehen nicht funktionieren“, urteilt Christian Boergen vom Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen. Wie viele in der Branche glaubt er, daß einige Supersonderangebote ausschließlich dazu dienten, die UrlauberInnen erst einmal zu ködern. „Auffällig oft waren die annoncierten Reisen ausgebucht.“ Jetzt ist der Laden aus der Frankfurter Kaiserstraße zahlungsunfähig, und die KundInnen müssen zunächst auf eigene Kosten den Rückflug antreten; ob sie ihr Geld wiedersehen, werden demnächst JuristInnen klären.
Noch läßt sich nicht absehen, wie sich die Ereignisse auf andere Billigreiseanbieter auswirkt. „Der Tourismusmarkt reagiert immer mit Zeitverzögerung“, berichtet Boergen. So werden sich auch die Anschläge auf TouristInnen in Ägypten, der Türkei und Florida möglicherweise erst in der nächsten Saison auswirken. „Die Leute, die ich vor kurzem in einer Clubanlage südlich von Antalya sprach, fühlen sich geborgen und wohl. Sie wollen nur dieses Jahr auf ihren Einkauf in der Antalya verzichten“, so Boergen. Wer aber noch nicht losgefahren war, nahm häufig das Angebot zum Umbuchen an: 60.000 verzichteten auf ihre Türkeireise und suchten sich ein anderes Ziel.
Die Zeitverzögerung in der Touristikbranche zeigt sich auch noch an anderer Stelle. Obwohl die Portemonnaies der BundesbürgerInnen im allgemeinen schmaler geworden sind, wächst der Flugreisemarkt auch in diesem Jahr – um vermutlich vier Prozent. 33 Milliarden Mark Umsatz konnte die Ferienindustrie im letzten Jahr in Deutschland verbuchen. Die großen fünf, TUI, NUR, LTT, DER und ITS, teilten sich etwa ein Drittel des Kuchens.
Die fetten letzten Jahre aber, in denen es insbesondere durch die reisefreigesetzten Ostdeutschen zu zweistelligen Umsatzsteigerungen kam, sind vorbei. Die bevorstehende Krise im Tourismussektor kündigt sich bereits durch eine Pleitewelle bei Reisebüros an: im ersten Quartal 1993 wurden 54 Betriebsleiter beim Konkursrichter vorstellig – das sind 35 Prozent mehr als in anderen Branchen. In den letzten Wochen aber kam den Urlaubsveranstaltern das mieserable Wetter hierzulande zugute; viele Sonnenhungrige buchten schnell noch einen Platz im Sommer.
1.100 Mark geben die, nur in der Statistik existierenden, Durchschnitts-Westdeutschen im Jahr für Fahrten und auswärtige Unterkünfte aus. Im Osten sind in der Haushaltskasse nur 800 Mark dafür vorgesehen. Am beliebtesten für die Haupturlaubsreise ist nach wie vor Spanien, wo es 5 Millionen Urlauber hinzieht, gefolgt von Bayern mit 4,2 Millionen. Rang drei nimmt Italien ein, gefolgt von Österreich, Schleswig-Holstein, Frankreich und Niedersachsen. „Trendy ist die Karibik, auch wenn sie statistisch noch nicht relevant ist“, verrät Boergen. Bulgarien sei fast noch ein Geheimtip (pscht!), und auch Ungarn muß deutlich mehr deutsche Feriengäste verkraften. Im nächsten Jahr könne auch Kroatien wieder mit UrlauberInnen aus Deutschland rechnen, prognostiziert der Tourismusfachmann.
Vor allem die Ostdeutschen wollen im Urlaub ihr Auto genießen: 60,5 Prozent klemmten sich im letzten Jahr hinters Steuer, um ihren Ferienort zu erreichen. Bei den Wessis schlägt sich die lange Stauerfahrung hingegen nieder: „nur“ noch 54,7 Prozent wollen sich auch im Urlaub nicht von ihrer Blechkiste trennen. Eindeutiger Gewinner bei der Verkehrsmittelkonkurrenz ist das Flugzeug, das inzwischen von mehr als einem Viertel der UrlauberInnen benutzt wird – zum Leidwesen der Umwelt, der Daheimgebliebenen und der Bahn, die 1992 nur noch einen mageren Anteil von 7,2 Prozent verzeichnen konnte, nach noch 9,4 Prozent im Vorjahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen