: Künftig gemeinsam satanisch
Versöhnungstreffen Salman Rushdies mit dem türkischen Schriftsteller Aziz Nesin durch Vermittlung Günter Wallraffs. Politiker aller Parteien sollen sich mit Rushdie zusammensetzen ■ Von Simone Sitte
Bis zuletzt war offen, ob das geheime Treffen zwischen dem türkischen Schriftsteller Aziz Nesin und Salman Rushdie überhaupt würde stattfinden können. Die erste Aufregung entstand, als Nesin nicht in dem Flugzeug saß, mit dem er erwartet wurde: Er hatte seinen Paß vergessen. Noch schwieriger war es, Salman Rushdie nach Deutschland zu holen. Die Lufthansa etwa hatte sich geweigert, ihn zu fliegen, und so reiste er in einem kleinen, einmotorigen Privatflugzeug an.
Zum Bruch zwischen den beiden Autoren war es gekommen, als zwei Tage nach dem Brandanschlag islamischer Fundamentalisten in Sivas, bei dem 37 Menschen ums Leben gekommen waren, in der englischen Zeitung The Observer ein Artikel von Salman Rushdie erschien. Darin warf er Aziz Nesin vor, er habe in der Zeitung Aydinlik ohne seine Zustimmung Auszüge aus den „Satanischen Versen“ veröffentlicht. Wörtlich schrieb er: „Nesin und Genossen wollten mich und mein Werk als Kanonenfutter benutzen in ihrem Kampf gegen religiöses Eifertum in der Türkei.“ Die Auszüge wurden im Rahmen einer Diskussion zum Thema „Salman Rushdie – Genie oder Scharlatan“ veröffentlicht, waren unautorisiert und schlecht übersetzt – allerdings nicht von Aziz Nesin. Andere Redakteure hatten das Werk, so Wallraff, lediglich nach „Stellen – wie in einem Porno“ abgesucht und entsprechend sensationalistisch präsentiert.
Viele, nicht nur Nesin, waren durch Rushdies scharfe Äußerungen, insbesondere nach dem Brandanschlag, irritiert. Als Rushdie später die Härte seiner Formulierung öffentlich bedauerte, wollte Nesin von einer Entschuldigung nichts mehr hören. Kaum jemand wußte allerdings, daß Rushdie große Teile des Artikels im Observer bereits vor den Ereignissen in Sivas geschrieben hatte.
Dem Schriftsteller Günter Wallraff und zwei anderen Journalisten ist es gelungen, zwischen den beiden zu vermitteln und eine Begegnung in einem Gartenhäuschen am Rhein zu arrangieren. Die erste Begegnung der beiden begann ein wenig zäh, doch sprachen sie schon bald über Humor als subversive Kraft in der Literatur herzten sich sogar zum Abschied. Gemeinsam sahen sie ein während des Brandanschlags von Fundamentalisten aufgenommenes Video, auf dem zu sehen ist, wie Nesin die Feuerwehrleiter hinunterklettert. Nur eine Verwechslung rettete den Schriftsteller davor, dem Lynchmob zum Opfer zu fallen.
Tags darauf der offizielle Auftritt. Salman Rushdie und Aziz Nesin zusammen in dem romantisch bewachsenen Garten eines alten Anwesens. Neben ihnen Günter Wallraff. Eine trügerische Idylle angesichts der Männer des Mobilen Einsatzkommandos in den Büschen und der gepanzerten Wagen vor dem Eingang. Die Bundesregierung selbst hatte sich nach Wallraffs Angaben nicht in der Lage gesehen, Rushdie zu schützen.
Nachdem nun im Gespräch klar geworden war, daß Aziz Nesin nicht Chefredakteur der Aydinlik ist – und somit auch nicht verantwortlich für die unautorisierte Herausgabe der Auszüge aus den „Satanischen Versen“ – und als deutlich wurde, daß Salman Rushdies Äußerungen über Aziz Nesin auf eben diesem Mißverständnis beruhten, verlief das Treffen in entspannter Atmosphäre und erstaunlich unkompliziert. Schließlich meinte Aziz Nesin: „Es gibt eigentlich keinen Grund, daß wir uns nicht verständigen sollten. Ich glaube, daß wir in Zukunft solche Unstimmigkeiten werden vermeiden können. Wir werden zeigen, daß alle Schriftsteller, die in dieser Richtung arbeiten, eine gemeinsame Front bilden können. Wir müssen das auch zeigen, denn es ist eine Frage, die die ganze Welt angeht.“ Wallraff will ein Treffen von Politikern aller Parteien mit Rushdie und eine Unterschriftenaktion initiieren, um eine Solidarisierung mit dem nach wie vor gefährdeten Schriftsteller zu erreichen.
Rushdie, der an einem neuen Roman schreibt, betrachtet inzwischen sein zeitweiliges Einlenken gegenüber islamischen Kritikern als den größten Fehler seines Lebens. Er habe damals seine Gesprächspartner für liberale Muslime gehalten, so erklärte er im Gespräch mit Günter Wallraff, und habe nicht erkannt, daß ihm eine Falle gestellt worden sei.
Erneut warfen Nesin und Rushdie den westlichen Regierungen Untätigkeit gegenüber dem islamischen Fundamentalismus vor. „Wenn nichts geschieht, werden in einigen Jahren überall in der arabischen Welt Gottesstaaten die Macht übernehmen“, kolportiert Wallraff den Tenor des Gesprächs.
Auch über die strittige Frage einer Übersetzung von Rushdies Werken ins Türkische einigten sich die beiden Autoren. Man wolle zunächst mit Rushdies Kinderbuch „Harun und das Meer der Geschichten“ beginnen.
Nachdem die entscheidenden Mißverständnisse und Unstimmigkeiten ausgeräumt waren, begab sich die Runde sogar auf eine Dampferfahrt den Rhein hinunter und grüßte, von fotografierenden Touristen umringt, im Vorbeifahren die Lorelei.
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