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■ Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln...Die fatale nicaraguanische Tradition

Geiselnahmen sind immer extreme Aktionen, in der Regel mit konkreten und erfüllbaren Forderungen verbunden: etwa nach Lösegeld, der Freilassung politischer Gefangener oder Garantien für die Sicherheit und den freien Abzug der Geiselnehmer selbst. Diesem klassischen Muster entspricht nur die zweite der Aktionen in Nicaragua: die Gefangennahme der konservativen Politiker durch ein Kommando ehemaliger sandinistischer Soldaten.

Die Geiselnahme des „Schakals“ ist eine neue Kategorie in der Eskalation politischer Erpressung. Die Forderungen – Absetzung hoher Funktionäre, Verfassungsreform, Auflösung der Armee – sind für eine Regierung, die sich noch als solche bezeichnen will, absolut unerfüllbar. Schon ein antisandinistisches Kommando, das im März mit ähnlichen Forderungen die Botschaft in Costa Rica besetzt hatte, mußte nach fast zwei Wochen aufgeben – allerdings mit einer sechsstelligen Dollarsumme in der Tasche.

Der „Schakal“ und seine „Nordfront 3-80“ sind keine gewöhnlichen Geiselnehmer mit eigenen Interessen. Sie sind Werkzeug in einem Plan, der in Nicaragua der extremen Rechten zur Macht verhelfen soll. Alfredo Cesar, einst Mitglied des Contra-Direktoriums, später als Parlamentspräsident einer der gewichtigsten Widersacher der Regierung und zuletzt Gefangener des „Kommandos der Souveränität und Würde“ in Managua, war fünf Tage vor den Ereignissen beim „Schakal“ zu Besuch. Der Hinterhalt muß damals schon geplant worden sein. Der Schakal selbst war vor kurzem in den USA, wo er Kontakt mit nicaraguanischen Unternehmern, mit extremistischen kubanischen Exilorganisationen und selbst mit Senatoren und Kongreßabgeordneten hatte. Es ist kaum zu erwarten, daß ein bislang unbekannter nicaraguanischer Bauernsohn solche Termine ohne die Hilfe prominenter politischer Freunde arrangieren kann. Die Kämpfer der „Nordfront 3-80“ laufen mit neuen Boden-Luft-Raketen (Stückpreis: 20.000 Dollar) herum und beziehen – für Guerilleros äußerst ungewöhnlich – Gehälter.

Der Forderungskatalog der Entführer ist eine Blaupause des Programms, das die rechte UNO-Koalition und der Unternehmerverband seit Monaten verfechten – allerdings ohne die Bereitschaft, ernsthaft darüber zu verhandeln und selbst Konzessionen zu machen. In Nicaragua hat sich noch immer keine Diskussionskultur entwickelt. Seit jeher haben hier die politisch Unterlegenen ausländische Verbündete zu Hilfe gerufen, namentlich die USA, oder auf bewaffneten Druck gesetzt. Diese fatale Tradition ist auch heute noch lebendig. Ralf Leonhard

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