: SPD im gut getarnten Blauhelm-Streit
■ Kampfeinsätze weiterhin abgelehnt / Niederlage für Fraktionschef Klose im SPD-Präsidium / Kompromiß mit der Bundesregierung in weiter Ferne
Bonn (taz) – Die SPD war gestern bemüht, einen Kurswechsel in der Frage von Bundeswehreinsätzen zu dementieren. Es werde keine Öffnung „gegenüber den Vorstellungen der Regierungsparteien“ geben, dies habe das SPD-Präsidium am Montag „einmütig“ bekräftigt, sagte der SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Vizevorsitzenden der Partei, Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Eine Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen werde von der SPD „nach wie vor strikt und bedingungslos abgelehnt“, sagte Verheugen. Deutsche Soldaten sollten lediglich an Blauhelm-Missionen teilnehmen. Fraktionschef Hans-Ulrich Klose, der daneben auch für eine Beteiligung an UN-Kampfaufträgen plädiert hatte, habe im Präsidium „keine Unterstützung gefunden“. Klose müsse nun, so Verheugen, „selbst die Schlußfolgerungen“ aus seiner Minderheitenposition ziehen.
Der Bundesgeschäftsführer ließ gleichzeitig offen, ob die SPD an ihrer bisherigen Beschlußlage festhält, wonach die Beschränkung auf Blauhelm-Einsätze auch ins Grundgesetz aufgenommen werden sollte. Dem Vernehmen nach will die Parteispitze diese Frage auf dem Parteitag im November offenlassen und nicht zur Abstimmung stellen. Sie würde damit Parteichef Rudolf Scharping folgen, der vor knapp zwei Wochen angeregt hatte, in der Verfassung auf die Beschränkung auf Blauhelme zu verzichten.
Während Scharping vor zwei Wochen einen Verfassungskompromiß mit der Regierung als möglich bezeichnet hatte, äußerte sich Verheugen gestern in dieser Frage skeptisch. Die Positionen von SPD und Regierung seien „so meilenweit auseinander“, daß ein Kompromiß schwer vorstellbar sei. „Im Augenblick“ gebe es deshalb für die SPD in der Frage einer Verfassungsänderung „überhaupt keine Notwendigkeit, zu anderen Formulierungen zu kommen“. Zunächst müsse die Regierung von ihrer Maximalposition abrücken. Für die SPD gebe es derzeit „keinen Bewegungsspielraum“.
Das Präsidium billigte im Grundsatz einen von Wieczorek-Zeul formulierten Antragsentwurf für den Parteitag im November. Danach will die SPD lediglich Blauhelm-Missionen der Bundeswehr zustimmen, Kampfeinsätze aber nach wie vor ablehnen. Verheugen ergänzte dies mit den Worten, die SPD werde allen Einsätzen zustimmen, die die UNO „in eigener Verantwortung“ unternehme. Wieczorek-Zeuls Entwurf soll am Freitag in der für Außenpolitik zuständigen Projektgruppe der SPD noch einmal beraten werden. Auch er macht keine Aussage über die Form einer möglichen Grundgesetzänderung.
Während Verheugen die Ergebnisse der Präsidiumssitzung als „Klarstellung“ bezeichnete, ist die Verwirrung in der Partei offenbar nicht beseitigt. Einige Sozialdemokraten interpretierten die Präsidiumssitzung als Dämpfer für den Fraktionschef und Schatten-Außenminister Klose. Die Jusos vermuteten dagegen gestern ein abgekartetes Spiel. Klose spiele offensichtlich für Scharping den „heimlichen Vollstrecker“.
In Kloses Umgebung wurde darauf hingewiesen, daß es im Präsidium keine Abstimmung über die Vorschläge des Fraktionschefs gegeben habe. Klose werde seine Vorstellungen weiterverfolgen und sie am Freitag auch, wie geplant, in die Beratungen über den Leitantrag für den Parteitag einbringen. „Noch nicht ausgelotet“ seien etwa die Möglichkeiten eines Kompromisses zwischen den widerstreitenden Positionen.
In Kloses Umgebung wächst gleichzeitig die Verwirrung über die Linie des Parteivorsitzenden. Als Scharping seinen Vorstoß lanciert habe, die Beschränkung auf Blauhelme nicht in die Verfassung aufzunehmen, habe es so ausgesehen, als versuche der Parteichef, die SPD-Beschlußlage zu verändern, um gegenüber der Regierung „in die Offensive zu kommen“. Jetzt sei das „nicht mehr ganz klar“.
Hans-Martin Tillack
Kommentar auf Seite 10
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