: Der gewohnte Graben fehlte
■ Landesjugendorchester spielte in der Musikhalle Brahms und Schönberg
Wenn alles anders íst als sonst, hat auch das seine zwei Seiten. Die gute zuerst. Als das Landesjugendorchester am Sonntagabend auf dem Podium der Musikhalle Platz nahm, fehlte zwischen Bühne und Parkett der gewohnte Graben aus Anbetung oder Ehrerbietung oder wenigstens aus Gründen der Dienstleistungshierarchie. Stattdessen verwandschaftliches Nicken und Schmunzeln und Winken hüben und drüben, was die Stimmung in der sonst so ehrwürdigen Konzerthalle auf das Wünschenswerteste lockerte.
Auch bekam man endlich einmal mit, wie das eigentlich funkioniert mit dem Stimmen eines großen Orchesters, denn alles war so übersichtlich, so familiär. Die - schon zahlenmäßig - hoffnungslose Unterlegenheit des männlichen Geschlechts in der Geigengruppe deutete den Trend an, daß in Zukunft verstärkt Frauen den Bogen in professionellen Orchestern führen werden.
Natürlich hat das Zusammenspiel eines solchen, zwar sympathischen, aber darum noch nicht perfekten Jugendorchesters nicht das gewohnte Niveau, worauf man sich freilich einstellen kann. Negativ geradezu war die Neigung zu getragenen Tempi, die Kapellmeister Marius Bazu den Abend lang nicht ablegen mochte. Das könnte seinen Grund in den begrenzten Möglichkeiten des Orchesters gehabt haben, Herr Bazu wird sie gut kennen. Arnold Schönbergs objektiv witzige Bearbeitung von Händels Concerto grosso B-Dur op. 6 pflegt allerdings bei zu langsamen Tempi unweigerlich an Plausibilität zu verlieren und schließlich zu zerfallen ,— zumal vor dem Orchester, dem Wunsche Schönbergs entsprechend, noch ein Streichquartett agiert, das klanglich und konzeptionell mit dem großen Klangkörper ausbalanciert sein will.
Brahms dritte Sinfonie nach der Pause litt in den Ecksätzen an nämlichem Mangel eines zu breiten Tempos, wußte aber in den beiden Mittelsätzen dank der vorzüglichen Leistung von Bläsergruppe — namentlich Klarinetten und Flöten — und Celli mit Charme Idylle zu erzeugen. In der Schlußgruppe des letzten Satzes hörte man gar, was unter gewohnten Bedingungen selten zu hören ist, die bezaubernd hellen Figuren der Geigen in den Lagen. Die Family war begeistert.
Stefan Siegert
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