: Gelehrte und Gewittermacher
Professor Bolz haut den abendländischen Lukas. Rätselhafte Phänomene, beobachtet während einer Tagung über „Medienkultur“ ■ Von Elektra Bernstein (Elektrotelepathie) und Heide Platen (Medium)
Wir befinden uns in der Johanniskirche in Schwäbisch Gmünd Ende August anno 1993. Er sagt es wirklich und wahrhaftig, der Multimedia-Künstler Professor Walter Giers: „Wegen der Dramatik mache ich hier vorweg noch ein kleines Gewitter.“ Für vermutlich weniger Blasphemisches hat der Blitz schon in manch anderen Kirchturm eingeschlagen. Dabei hat der Wettermacher von eigenen Gnaden seine meditative elektronische Geräuschkulisse aus Respekt vor dem Hause des Herrn ganz dezent hinter schwarzen Tüchern versteckt. Computer „als Goldenes Kalb auf dem Altar“, sagt er tadelnd in Richtung des Klerus, mag er nämlich gar nicht leiden. Die sanfte Synthesizer-Musik ist von einem Zufallsgenerator gesteuert und tönt heimorgelig. Dazu murmeln leise lateinische Litaneien. Die Klanginstallation ist eine Uraufführung während der Fachtagung der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem klangvollen Titel „Medienkultur – Medienkult. Über die Faszination eines Phänomens“, bei der viel vom „Digitalen Denken“ die Rede ist. Was Herr Giers am Ende sagt, indem er seine weißen Locken verneinend schüttelt, versöhnt die Berichterstatterin fast mit seinem Auftritt: „Das geht doch gar nicht. Der Mensch ist ein analoges Wesen.“
Die PfarrerInnen und Pfarrer, die gekommen waren, um sich in der verwirrenden Welt neuer Medien Hoffnung und Orientierung zu holen, gehen schließlich so ungetröstet wie die törichten Jungfrauen wieder nach Hause. Sie, die sich des universell vernetzten elektronischen Götzen erwehren wollten, waren statt dessen in eine Geisterbahn geraten. Das Programm hatte vollmundig in Mystik geschwelgt, der Geschäftsführer der Stiftung, Lothar Kraft, nicht weniger. Da war die Rede von Technohelden und Chipschamanen, Cyberspace statt Kirchenraum, Hörigkeit und Heilslehren nebst Kunst, Kultur und künstlichen Welten. Kraft ortete in seiner Eröffnungsrede „philosophische und religiöse Aspekte“, eine „omnipotente Vormachtstellung der Medien“, die „unseren Alltag beherrschen“, ahnte „Tendenzen der Vergötzung“ im Spannungsfeld zwischen „Mattscheibe und Erleuchtung“ und babylonischer Anmaßung: „Der Homo faber wird zum creator mundi.“ Und das kann doch nicht gutgehen!
Auch die Künstler waren beleidigt. Denn recht eigentlich ging es hier wieder einmal um die Sinnfragen und -krisen der Menschheit schlechthin. Und da ist Kunst mittels Elektronik, also Synthesizer, Computergrafik, Videoinstallationen, Laser, Fax und Fotokopie, denn doch nur ein winzig Nebending. Warum, beschwerte sich einer von ihnen, ist dafür denn so gar kein Markt und so wenig Interesse bei den Museen vorhanden? Die wenigen auf Dias gezeigten Werkbeispiele legten eine einfache Antwort nahe: Die Dinger sind groß und fressen Strom. Aber Ach! Welch ein schnöder Gedanke am Morgen des Aufbruchs der Menschheit in virtuelle Welten. Von Hard- oder Software abhängige und interaktive, das heißt vom Publikum veränderbare Kunst, sinnierte jemand hellsichtig, verträgt sich vielleicht nicht mit dem Kunstwerk als Geldanlage? Sollte das, wie gewöhnliche PCs es zu tun pflegen, seinen unergründlichen Geist aufgeben, müßte man sich per Hotline an den Künstler wenden. Ein weiterer Medienkünstler zeigte sich da schon einen Schritt weiter. Die Menschheit, klagte er in Richtung der christlichen Ignoranten, sei gerade dabei, ins All aufzubrechen, den Kosmos zu erforschen und, simultan dazu, die eigene Seele und deren absolute, unabänderliche Einsamkeit zu entdecken. Das Gewicht seines Satzes ließ ihn dann verstummen. Im Foyer wehrte sich eine junge Frau gegen ihre totale Vernetzung durch Computerkommunikation: vergeblich. Ihr dreitagebärtiger Widerpart dräute mit drakonischen Sanktionen: „Dann wird dich die Welle der Geschichte hinwegschwemmen.“
Der im Programm unvermeidlich vorgesehene Direktor der Frankfurter Städelschule, Peter Weibel, erschien diesmal nicht leibhaftig. Seine Abwesenheit machte den smarten Professor Norbert Bolz aus Essen unversehens zum Star der Veranstaltung. Er kam und haute den abendländischen Lukas mit Macht in Grund und Boden. Im kleinen Kreis ließ er hinterher „unter uns“ Schrödingers Katze aus dem Sack, und riet den bei Käsespätzle Versammelten, „die Stammtisch-Ethik beiseite zu lassen“, sich unter die „Glücklichen“ einzureihen und die Welt post Computer neu zu gestalten. Referentin Professor Renate Möhrmann, derzeit CDU- Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen, die online eingespielte Gegnerin des apokalyptischen Kritikers der Kommunikationstechnologie, Neil Postman, nickte emsig. Besitzende habe es schließlich immer gegeben, wie „früher die Fürsten“. Genau hier tritt das Vorhersehbare ein, denn Herr Bolz hatte es in seinem Vortrag nicht umsonst beschworen: „Hacker am Terminal, Kids im Spiel mit errechneten Bildern – sie optimieren die Schnittstelle Mensch/Maschine. Der Grenzwert dieser Obsession ist elektronische Telepathie: das totale Interface, vor dem das face-to-face zergeht... Das Unbewußte kommuniziert auf elektromagnetischen Wellen.“ Und so geschieht's: Die geheimnisumwobene Seherin und Starkstromelektrikerin aus dem Hintertaunus, Elektra Bernstein, schlüpft elektrotelepathisch in den Kopf der Berichterstatterin und gebietet ihr, unter die Benutzeroberfläche des fabelhaften Herrn Bolz zu schauen. Der hat, wie sich herausstellt, rechtzeitig eins und eins an seinen zehn digitalen Fingern (Elektra, laß die Albernheiten!) zusammengezählt und die künftige Menschheit in Designer, die das Geld und die Macht haben, und analphabetische User eingeteilt, und außerdem frei nach McLuhan beschieden, daß das Medium die Massage sei und folglich wurstegal, was da über die Bildschirme flimmert und aus den Druckern quillt.
In einer fernen virtuellen Welt entfaltet sich später folgender virtueller Dialog zwischen Elektra Bernstein und der Bolzschen Benutzeroberfläche:
Bolz: „Die meisten Gegenstände der technischen Welt müssen wir gebrauchen, ohne zu begreifen, wie sie funktionieren – es sind Black boxes. Um aber Licht in eine Black box zu bringen, muß man mit ihr spielen.“
Bernstein (brummelt): „Auch im Apple-User-Club Firmenphilosophie gelernt, junger Mann? Guten Tag auch. Und was haben Sie noch begriffen?“
Bolz: „Wo der Humanismus und die neue Medienwelt aufeinandertreffen, scheiden sich die Geister konkret in Programmierer und Programmierte – hier die Designer, dort die User... Bücher werden von Bildschirmen verdrängt; das face-to-face weicht dem Interface. Und die alten Fragen nach Bedeutung, Repräsentation und Intentionalität gleiten an einem elektronischen Datenfluß ab, der Effekte inszeniert und sonst nichts.“
Bernstein (dozierend): „Brav. Das ist ein prima Weltbild zur Affirmation des Bestehenden, das gefälligst nicht in Frage gestellt wird. Schließlich behauptet es von sich, es sei wert- und ideologiefrei und hat Fragen nach Herrschaft, Interessen, Ökonomie insgesamt ausgeklammert. Geschichte hat nicht stattgefunden und soll nicht stattfinden. Die Negation ist getilgt. Die negative Utopie ist jetzt und überall.“
Bolz (nickt emsig): „Tradition läßt sich unter neuen Medienbedingungen nicht mehr fortschreiben – allenfalls in einem abendländischen Abschlußsaldo anschreiben. Deshalb spielen auch Ideologien (wie die ihnen geltende Form der Kritik) keine Rolle mehr, seit sich gesellschaftliche Macht in technischen Standards, Frequenzen, Reichweiten und Schaltplänen organisiert.“
Bernstein: „Wo Sie recht haben, haben Sie recht. Nur, wer hat die Macht, die Standards durchzusetzen?“
Bolz: „Der Welt als Datenfluß gegenüber formiert sich unser soziales System als Keyboard-society – man trifft nur noch auf Benutzeroberflächen.“
Bernstein (beiseite, „So sehen Sie auch aus.“): „Himmlisch, wie Sie es schon verstehen, innerhalb der Megamaschine in sich selbst zu kreisen. Fortschritt, zyklisch wie die Abschreibungsraten.“
Bolz (begeistert und erleichtert): „Das Programm ersetzt die Urteilskraft... Gadgeteering, die Synergie von Mensch und Maschine, bringt die Befreiung von der philosophischen Zumutung der Freiheit.“
Bernstein (ungeduldig): „Ja, ja. Aber wie wollen Sie das den Heloten beibringen?“
Bolz: „Gerade der Computer im Kinderzimmer macht anschaulich, wie ein solches Marginalobjekt zwischen physisch und psychisch, zwischen belebt und unbelebt situiert ist. Neue Medien und Computer stammen ebensowohl aus dem Selbst des Benutzers wie aus der Außenwelt... Sie stimulieren den Narzißmus der Benutzer.“
Bernstein: „Machen Sie nur so weiter! Erst verschmilzt das Subjekt mit dem Objekt, dann wird es von der Maschine mit Bedürfnissen ausgestattet. Bildschirmarbeitsplatz, Computerspiel, virtuelles Versandhaus, Homo ludens, Medien, Kommunikation, Datenfluß, Unterhaltung, alles Jacke wie Hose.“
Bolz: „Hacker am Terminal, Kids im Spiel mit errechneten Bildern – sie optimieren die Schnittstelle Mensch-Maschine. Der Grenzwert dieser Obsession ist elektronische Telepathie: das totale Interface, vor dem das face-to- face zergeht.“
Bernstein: „Ich schmelze auch gleich dahin.“
Bolz: „Menschen funktionieren als Sexualorgane ihrer Medien. Und was wir Welt nennen, plättet sich zur integralen Benutzeroberfläche.“
Bernstein (geplättet): „Der wird ja auf einmal immer flacher.“ (Dreht den Mann einmal um die eigene Achse, umschreitet ihn virtuell, sinkt erschöpft auf einen virtuellen Stuhl, räsoniert): „Alles muß frau selber machen. Keine Vernetzung ohne Netzteil! Eine unterbrechungsfreie Stromversor
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gung ist übrigens teurer als zwei Rechner. Auch Software und Attribute, die ihre irdischen Hersteller mikroelektronischen Geräten anheften, junger Mann, tilgen nun einmal den Makel des schnöden Gebrauchsgegenstandes nicht. Vor jede Schnittstelle gehören die Lötstellen! Das Faszinosum ist (kichert) eine Chimäre.“
Bolz (merkt nichts, hört nicht zu und emuliert einen Philosophen): „Manipulation wird zum Normalfall der Weltdarstellung. Deshalb müssen wir ein neues Verhältnis zu den Begriffen Schein, Fiktion und Simulation gewinnen. Sie bezeichnen nicht mehr das andere der Wirklichkeit, sondern sind ihre Aggregatzustände ... Nur die Massenmedien bieten eine geschützte Weltwahrnehmung ... Die japanischen Otaku etwa ... treten mit der Außenwelt nur noch über technische Medien in Kontakt; bis auf den lästigen eigenen Körper und seine Subsistenzbedürfnisse haben sie ihre simulierte Umwelt so optimiert, daß sie gar nicht mehr aus der Medienwelt heraustreten wollen. Gewiß, das sind extreme Existenzen. Doch man sollte sie als Emissäre aus der Zukunft begreifen, die uns erste Kunde geben von der Neudefinition des Daseins als telematisches Sein im Horizont der Sendezeit.“
Bernstein verzieht sich darauf genervt per Elektrotelepathie in eine andere virtuelle Welt. Sie reist ins Jahr 1963 und setzt sich vor ein antikes Radiogerät. Eine leicht verschliffene Stimme tönt aus dem Off: „Die Berufung auf Ordnung schlechthin, ohne deren konkrete Bestimmung, auf die Verbreitung von Normen, ohne daß diese in der Sache oder vorm Bewußtsein sich auszuweisen brauchten, ist nichtig. Eine objektiv verbindliche Ordnung, wie man sie den Menschen aufschwätzt, weil es ihnen an einer fehlte, hat keinerlei Recht, wenn sie es nicht in sich und den Menschen gegenüber bewährt, und eben darauf läßt kein kulturindustrielles Produkt sich ein.“ „Guter, alter TWA“, seufzt sie, „auch nicht mehr das, was er mal war. Hätte sich bestimmt nicht träumen lassen, daß die smarten Jungs von heute seine Kritik zur Methode machen.“ Weiter die Radio- Stimme aus dem Off: „Unter den Intellektuellen, die mit dem Phänomen sich abfinden wollen und die versuchen, ihre Vorbehalte gegen die Sache mit dem Respekt vor ihrer Macht auf die gemeinsame Formel zu bringen, ist, sofern sie nicht schon aus der angedrehten Regression einen neuen Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts machen, ein Ton ironischer Duldsamkeit gängig.“ Elektra Bernstein findet den Knopf zum Abschalten gerade noch nach dem Satz: „Nur dem Namen nach ist der Begriff der Technik in der Kulturindustrie derselbe wie in den Kunstwerken.“
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