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Radarlücken für die Drogenschmuggler

Dubiose Auftragsvergabe in Mexiko  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Die Geschichte, die Kaveh Moussavi dem britischen Independent On Sunday erzählte, klang zunächst unglaublich: Die mexikanische Regierung drohe dem 39jährigem iranisch- britischem Geschäftsmann mit Mord, um sein Schweigen über dunkle Machenschaften führender mexikanischer Politiker zu erpressen. Selbst seine Familie sei in Gefahr, sagte Moussavi. Es wäre doch schade, wenn seine kleine Tochter einen Unfall hätte, warnte ein Anrufer, der die Oxforder Geheimnummer der Moussavis herausbekommen hatte.

Angefangen hatte alles mit ganz normalen Geschäftsbeziehungen. Moussavi, ein Anhänger der Reformpolitik des mexikanischen Präsidenten Carlos Salinas, hatte in den achtziger Jahren die mexikanische Niederlassung seiner Wirtschaftsberatungsfirma erheblich ausgeweitet. Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, daß der Flughafen in Mexiko-Stadt sein Leitsystem komplett erneuern muß, weil sich der Flugverkehr seit der letzten Modernisierung 1980 versechsfacht hat, versuchte Moussavi, den lukrativen Auftrag an Land zu ziehen. IBM bevollmächtigte ihn im Juni 1992 zu Verhandlungen mit der mexikanischen Regierung über einen Vertrag im Wert von 21 Millionen Dollar.

IBM, so glaubte Moussavi, hätte gegenüber der Konkurrenz einen entscheidenden Vorteil: Die Firma hatte das gesamte Flugleitsystem der USA installiert. Sollte die Firma den Zuschlag in Mexiko erhalten, wären beide Systeme kompatibel, argumentierte Moussavi. Mit dem alten mexikanischen System, das von einem französisch- italienischen Konsortium eingerichtet worden war, konnten ankommende Flugzeuge auf dem Radarschirm im Kontrollturm nämlich überhaupt nicht identifiziert werden. Außerdem wies die Radarüberwachung erhebliche Lücken auf – vor allem an den Grenzen zu Guatemala und den USA. Dieses Manko, so erfuhr Moussavi später, war freilich kein Zufall.

Moussavi machte von Anfang an deutlich, daß er nicht gewillt war, Regierungsbeamte zu bestechen, um den Zuschlag für IBM zu erhalten. „Einige US-Firmen lassen ihre Vermittler Schmiergelder zahlen“, sagte Moussavi dem Independent. „Wenn die geschnappt werden, können die Firmen behaupten, daß sie nichts davon wußten. Ich wollte klarstellen, daß das bei mir nicht läuft.“ Dennoch erhielt er zahlreiche Anrufe von Leuten, die ihm ihre „Hilfe“ bei den Verhandlungen anboten – gegen entsprechende Kommission, versteht sich.

Drei Männer suchten ihn sogar persönlich im Hotel Nikko in Mexiko auf. Sie verlangten ohne Umschweife eine Million Dollar – sonst könne er den Vertrag vergessen. Sie erklärten ihm, daß eine ganze Reihe einflußreicher Leute in Mexiko nicht gut auf ihn zu sprechen sei: Mit dem IBM-Flugleitsystem würden nämlich die Radarlücken geschlossen und der Drogenschmuggel – Jahresumsatz 16 Milliarden Dollar – erschwert. Moussavi hatte den Eindruck, daß die drei Männer aus dem Dunstkreis der mexikanischen Regierung kamen und verweigerte die Zahlung.

Einen Monat später erhielt das französisch-italienische Konsortium, das bereits das alte Flugleitsystem geliefert hatte, den Zuschlag für die Modernisierung. Thomson und Alinea waren fast um die Hälfte auf 13,2 Millionen Dollar heruntergegangen. Die ausgebooteten Konkurrenten protestierten bei der mexikanischen Regierung gegen die Ungereimtheiten bei den Vertragsverhandlungen. Moussavi ging mit seiner Bestechungsgeschichte an die Öffentlichkeit. Damit begann für ihn der Alptraum.

Der Chef von IBM in Mexiko, Rodrigo Guerra Botello, bezeichnete ihn als Lügner und behauptete, Moussavi habe nie im Auftrag von IBM gehandelt. Der IBM- Vorsitzende Gerald W. Ebker entschuldigte sich gar bei der mexikanischen Regierung und versicherte, daß er von den Bestechungsvorwürfen lediglich durch Moussavi erfahren habe. Beweise gebe es nicht. Mexikanische Regierungsbeamte beschimpften Moussavi im Fernsehen als „viertklassigen iranischen Finanzmakler“, der damalige Kommunikationsminister Caso Lombardo drohte ihm gar mit Gefängnis. Verschiedene JournalistInnen, die Moussavis Geschichte nachgingen – wie die Londoner Korrespondentin des mexikanischen Radiosenders „Radio Red“, Maria Almendra McBride – verloren ihre Jobs. Lediglich die Wochenzeitung Proceso berichtet noch immer über den Fall.

Moussavis Geschäfte in Mexiko haben sich längst in Luft aufgelöst. „Niemand redet mehr mit mir“, sagt er. „Meinen Freunden wurden die Telefonleitungen gekappt, und sie wurden eingeschüchtert.“ Dafür nahmen jedoch andere Kontakt mit ihm auf: Moussavi flatterten Hunderte von Beweisen für die Korruption der Regierung ins Haus. Die Papiere und Dokumente wurden ihm meist anonym zugesandt. Die beunruhigte mexikanische Regierung schickte deshalb im Mai den Diplomaten Eduardo Ibarolla nach London. Moussavi behauptet, Ibarolla habe ihm fünf Millionen Dollar Schweigegeld angeboten. Moussavi lehnte ab. Danach setzten die Morddrohungen ein.

Für die mexikanische Regierung steht viel auf dem Spiel. In diesem Monat wird der US-Kongreß in Washington über die Nordamerikanische Freihandelszone (Nafta) beraten, von der das politische Überleben der Salinas-Regierung mehr oder weniger abhängt. Die Nafta-Opponenten im Kongreß sind dagegen sehr daran interessiert, daß Moussavi die Korruptionsbeweise offenlegt.

Unterdessen wird ein Flug nach Mexiko-Stadt laut Pilotenvereinigung immer mehr zur Glückssache. „Der Flugverkehr hat so stark zugenommen, daß das Risiko immer größer wird“, hieß es in einer Beschwerde mexikanischer Piloten. „Wenn man dann bedenkt, daß die Boden-Luft-Kommunikation ständig zusammenbricht, muß man feststellen, daß die Lage kritisch ist.“

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