Sanssouci: Vorschlag
■ „Antigone“ im Schiller Theater
So gerne man sich über den Abonnenten oder die Abonnentin oder, schlimmer noch, das abonnierte Paar im Theater mokiert, so sehr hat man doch heutzutage Grund zur Freude, eine oder gar mehrere Exemplare dieser Spezies in den längst entweihten Kultstätten der Großstadt zu erblicken. Sind sie es doch, deren Ausbleiben man bemängelt, die den befürchteten Publikumsschwund ausmachen. Die typischen Premierenbesucher, Pressemenschen und Honoratioren, die alle wieder mal Freikarten ergaunern konnten, füllen die Kassen der Theater jedenfalls nicht.
Auch bei der vielleicht letzten Premiere im Schiller Theater bot sich kein anderes Bild als sonst: nur das Foyer des Theaters war randvoll mit Ermutigungs- und Beileidsschreiben geschmückt. Außerdem befanden sich wohl besonders viele wohlwollende Schauspielerkollegen und Theaterleute im Saal. Langer Rede kurzer Sinn, jedenfalls saß ich neben und vor einem solchen Paar, das wohl abonniert ist auf das Schiller Theater und seine Premieren. Und das mit seinen dummdreisten Bemerkungen für etwas Erheiterung in der Runde beitrug.
„Noch ist Schiller nicht verloren“, sagt der greise-weise Teiresias irgendwann mittendrin in seinem Weltsprachengemurmel. Doch zunächst schlendert ein junger Mann mit einer im Halbdunkel glühenden Zigarette durchs Parkett. „Guck mal, da raucht einer“, sagt einer von denen um mich herum. Berlinisch- empört. „Nee, der spielt mit“, meint seine weibliche Begleitung, klüger wie sie ist. Und wie der mitspielt – am Klavier, wo er sich hinhockt, als gelte es, einen Barpianisten zu markieren, der zum Abendmahl an der großen Tafel sanfte Pianotöne rieseln läßt.
An jener großen Tafel, die längs in der Mitte der Bühne steht, spielt sich nämlich das ganze Drama der Sophoklischen „Antigone“ ab, das Leander Haußmann bereits vor kurzem für die Salzburger Festspiele angerichtet hat und das nun seine Berliner Premiere erlebte. Kerzenleuchter illuminieren die von Bernhard Kleber eingerichtete Bühne, an deren Seiten sich jeweils ein großes Dreieck befindet, das man je nach Stimmung als Kamin oder auch als Zelt interpretieren kann. Eine Glasvitrine enthält Fossilienreste, jemand bläst die Hirtenflöte – Griechenland ist weit und lange her. Ein Landschaftsprospekt hängt im Bühnenhintergrund: Inseln. Davor pendelt mal mehr und mal weniger bedrohlich ein Kegel von der Decke: das Damoklesschwert, das sich das Aussehen einer übergroßen Eistüte gibt.
Die Vorgabe der großen Tafel, an der sich quasi alle Schauspieler versammelt halten (Haußmann hat den Chor auf vier Personen reduziert), zwingt die Personen in einen Handlungszusammenhang und forciert die Choreographie der Aktion, die sanft hin- und her-, auf- und abgeht, eigentlich ein ewiges Ritardando mit gelegentlichen Ausbrüchen ist. Auf- und Abgänge von der Seite, die üblichen Szenenwechsel geraten zur Ausnahme. Haußmanns „Antigone“ ist kein wogender Bilderbogen, sondern ein leise zitterndes Bild, bei flackerndem Kerzenlicht, das am Ende ganz vergeht, zwischendurch wird das Bild ein paarmal grell erleuchtet. Implosion statt Explosion. „This is the end“ spielen die „Doors“; Haußmann hat den Song zum Motto seiner Inszenierung, des Abends gemacht.
Der Regisseur läßt die mit einigen Strichen versehene „Antigone“ des Sophokles (in der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt) in einem Guß, ohne Pause spielen. Seine sonst überbordenden Regieeinfälle hat er reduziert; es ist das erste Mal, daß ich eine nur knapp zweistündige Inszenierung von ihm sehe. Die Stimmung ist vielleicht etwas zu vornehm-gedämpft, die lauten mißliebigen Töne verpuffen oder ersticken schnell in der gediegenen Atmosphäre. Antigone wird von der stets trotzköpfig wirkenden Steffi Kühnert dargestellt, die man sich liebenswerterweise nur schwer als vornehme Dame vorstellen kann, da ihr Trotz oder einfach eine ihr eigene besondere Art keine kokette Pose ist, die sich mit einem hübschen Lächeln abschütteln läßt. Sie ist bereits in weißes Leichentuch gekleidet: dem Tod bestimmt, der (noch) lebende Widerspruch im Hause Kreons, ein störender Faktor in der Tischordnung. Kreon ist Herrscher über die Tafel und Herr im Haus – und Margit Carstensen als Königmutter der wahre Star und Mittelpunkt des Abends. Die halblangen angegrauten Haare glatt zurückgekämmt, wie Antigone in ein langes weißes Kleid gewandet, mit seitlich leicht abgeneigtem Kopf, den gelegentlich ein leises Zittern überfällt, verkörpert sie das Androgyne des Alters, das Autorität durch Aura vermittelt und ohne alle Insignien der Macht auskommt. Kein grausamer Tyrann, auch kein besonders menschlicher Herrscher, eher selbst schon einem Gott gleich, der seine Gesetze nicht mehr in Frage stellt. Als der Sohn Haimon (Gerald Fiedler), mit der Angeklagten verlobt, den Vater zur Rücknahme seines Beschlusses überreden will, Antigone lebend in die Felsenkammer zu sperren, in der sie ihren Bruder wider die Anordnung beerdigt hat, fragt Kreon bloß mit ungläubigem Kinderlächeln: „Soll ich für andre als für mich hier herrschen?“
Kreon gehört auch der Schluß des Abends, der Vorhang ist schon gefallen, nur noch ein Kerzenlicht flackert auf dem Tisch, an dem Margit Carstensen gekrümmt und gebrochen sitzt. Den Botenbericht vom doppelten Selbstmord Antigones und Haimons unterbrach sie kurz mit einem „Das war anders“. Die Tragödie fand nicht statt? Oder anders? Ohne Margit Carstensen wäre der Abend jedenfalls zu einer mal läppischen, mal etwas langweiligen Tragikomödie geworden; der Männerchor agiert mal altmännerklug, mal burschenherrschaftlich. Als Haimons Tod berichtet wird, sagt einer von ihnen: „Haimon ist hin“, während die anderen ein „Oh, du lieber Augustin“ summen. „Die Carstensen ist die einzige, die Verse sprechen kann“, knirscht mein Nachbar durch die Zähne. Zum Schluß applaudiert er ostentativ, schleudert trotz vieler Buhs ein energisches „Bravo“ in den Raum: „Noch ist Schiller nicht verloren.“ Sabine Seifert
Sophokles: „Antigone“. Regie: Leander Haußmann, Bühne: Bernhard Kleber, Kostüme: Doris Haußmann.
Weitere Vorstellungen: 16., 24., 29. September um 20 Uhr im Schiller Theater
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