: Regierung über Makedonien gestürzt
■ Griechenlands Ministerpräsident Mitsotakis verliert parlamentarische Mehrheit nach Parteiaustritten von Nationalisten / Neuwahlen im Oktober / Die oppositionelle Pasok gilt als Wahlsiegerin
Athen/Berlin (taz/AFP) – „Verräter“ hatte der griechische Premierminister Konstantin Mitsotakis noch am Vorabend seinen früheren Außenminister und politischen Zögling Antonis Samaras geschimpft. Gestern fiel der Regierungschef den Machenschaften des Abweichlers zum Opfer. Nachdem vier Abgeordnete der „Nea Demokratia“ (ND) ihren Parteiaustritt erklärt hatten, war die Regierung ihre Mehrheit los. Ein halbes Jahr vor dem regulären Ablauf der Legislaturperiode mußte Mitsotakis das Parlament auflösen und Neuwahlen für den 10. Oktober ausrufen. In der Zwischenzeit wird Mitsotakis die Regierungsgeschäfte wohl weiterführen.
Anfang der Woche hatte Samaras, der selber nicht im Parlament sitzt, seine Anhänger unter den Abgeordneten dazu aufgerufen, sich von der ND zu lösen. Mitsotakis reagierte wie ein enttäuschter Vater: „Samaras betrügt 47 Prozent des griechischen Volkes (die Wählerschaft der ND bei den letzten Wahlen, d. Red.) mit dem einzigen Ziel, die Partei, die ihn geschaffen hat, zu zerstören.“
Der Aufruf Samaras war dennoch erfolgreich: Vier Parlamentarier kehrten der ND den Rücken, darunter so hochrangige Politiker wie der ehemalige Industriestaatssekretär Vassilis Mantzoris und der frühere Innenminister Nikos Kleistos. Zwei überliessen ihre Mandate der Partei, die beiden anderen erklärten jedoch, sie wollten als Unabhängige im Parlament bleiben. Damit hatte Mitsotakis seine Mehrheit verloren. Gestern kontrollierte er nur noch 150 der 300 Parlamentssitze.
Samaras hatte sich zum schärfsten Kritiker Mitsotakis' entwickelt, nachdem der ihn im vergangenen Jahr aus dem Außenministerium entlassen hatte. Vor sechs Monaten gründete der frühere Protegé des Premierministers eine eigene Partei mit dem absichtsvollen Namen „Politischer Frühling“. Samaras kritisiert Mitsotakis' Privatisierungsprogramm, das Austeritätsprogramm und vor allem die Politik gegenüber dem Nachbarstaat Makedonien, die er als entschieden zu lasch zurückweist.
Griechenland ist damit das erste EG-Land, dessen Regierung als indirekte Folge des Zusammenbruchs Jugoslawiens stürzt. Die Umwandlung der früheren jugoslawischen Teilrepublik Makedonien in einen unabhängigen Staat im Jahr 1991 hatte in Griechenland Ängste vor Gebietsansprüchen auf den Norden des eigenen Landes und heftige nationalistische Reaktionen ausgelöst. Samaras vertrat als Außenminister die Position, Makedonien auf gar keinen Fall anzuerkennen und trieb Griechenland damit auch innerhalb der EG in die Isolation.
In den folgenden Monaten nahm Mitsotakis einen gemäßigten Kurs gegenüber „Skopje“, wie Makedonien in Griechenland weiterhin genannt wird. Seine Generäle und Diplomaten versuchten eine Annäherung sowohl bei bilateralen Geheimverhandlungen als auch unter der Ägide der UNO. Namensvorschläge wie „Slawisch- Makedonien“ und „Ober-Makedonien“ sollten Athen eine goldene Brücke bauen. Doch Mitsotakis wagte aus Rücksicht auf die nationalistischen Scharfmacher im eigenen Lager nicht, diese Brücke zu betreten. In den vergangenen Wochen zeichnete sich ab, daß sowohl Makedoniens Regierungschef Kiro Gligorov als auch Mitsotakis eine Aufschiebung der Anerkennungs-Verhandlungen für die Zeit nach den Wahlen in beiden Länder anstrebten.
Jetzt wird voraussichtlich die „Panhellenistische sozialistische Bewegung“ (Pasok), die Mitsotakis' Politik gegenüber Makedonien oft als „Landesverrat“ bezeichnet hat, die Verhandlungen zu einem Ende führen. Daran, daß die Pasok unter ihrem charismatischen Führer Andreas Papandreou (74) als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen wird, zweifelt in Athen niemand. Auch wenn Samaras ihm jetzt mit seinem „Verrat“ an Mitsotakis die Genugtuung genommen hat, Mitsotakis (ebenfalls 74) persönlich zu stürzen. Dorothea Hahn
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