: Doch keine Waffenruhe in Nordirland
■ Die Gerüchte um bevorstehende Verhandlungen fanden gestern ein jähes Ende / Wieder IRA-Anschlag auf Hotel
Dublin (taz) – Eine 300 Pfund schwere Bombe, die gestern früh das Stormont-Hotel in der nordirischen Hauptstadt Belfast in Schutt und Asche legte, machte den Gerüchten um einen offiziellen Waffenstillstand ein jähes Ende. Da die Irisch-Republikanische Armee (IRA) zuvor eine telefonische Warnung durchgegeben hatte, konnten die etwa 60 Hotelgäste rechtzeitig evakuiert werden. Es war bereits das vierte Hotel, das in den vergangenen fünf Monaten von der IRA zerstört worden ist.
Zwei Stunden vor der Explosion war in einem Vorort von Belfast der 41jährige Vernon Bailey erschossen worden. Bailey gehörte einer protestantischen paramilitärischen Organisation an. Er war das 46. Opfer des nordirischen Konflikts in diesem Jahr. Zu dem Mord hat sich bisher noch keine Organisation bekannt.
Die irischen Medien hatten noch am Wochenende über einen Waffenstillstand spekuliert, nachdem sich die IRA eine Woche lang ruhig verhalten hatte. Die Gerüchte verstärkten sich noch, als ein Sprecher der Ulster Defence Association (UDA), der größten paramilitärischen Organisation der Protestanten, in einem sensationellen Interview die IRA aufforderte, die Waffen niederzulegen, „damit Friedensgespräche beginnen“ könnten. Er fügte hinzu, daß bei diesen Verhandlungen weder die irische Vereinigung, noch ein föderales Irland tabu seien.
Die Wirklichkeit stand freilich in starkem Kontrast zu den moderaten Tönen: Innerhalb von neun Tagen ermordeten protestantische Paramilitärs vier Katholiken und einen protestantischen Gefängniswärter und brannten zahlreiche Häuser in katholischen Vierteln Belfasts nieder. Vier weitere Mordversuche scheiterten.
Unterdessen bemüht sich die irische Regierung, die im Frühjahr ergebnislos abgebrochenen Mehrparteiengespräche über eine politische Lösung des Konflikts wieder in Gang zu bringen. Die Aussichten dafür sind allerdings schlecht. Zwar bekräftigten London und Dublin nach einer dreistündigen Sitzung der anglo-irischen Konferenz am vergangenen Freitag ihre Bemühungen um eine Verhandlungslösung, doch die irische Regierung hat ihre Zweifel: Sie hegt den Verdacht, daß der britische Premierminister John Major die Stimmen der nordirischen Unionisten bei einer wichtigen Unterhausabstimmung im Juli mit dem Versprechen gekauft habe, die Nordirland-Verhandlungen zu hintertreiben und jede Einmischung Dublins in nordirische Angelegenheiten zu verhindern. Deshalb droht die Dubliner Regierung unverhohlen mit einem US-amerikanischen Vermittler.
Präsident Bill Clinton hatte nämlich während des US-Wahlkampfes angekündigt, einen hochrangigen Politiker nach Nordirland zu entsenden. Ex-Präsident Jimmy Carter hatte sich für diesen Job selbst ins Gespräch gebracht. Die britische Regierung hat jedoch deutlich gemacht, daß sie die Entsendung eines „US-Friedensstifters“ als schwere Beleidigung empfinden würde. Selbst der Besuch einer US-amerikanischen Delegation unter Führung des ehemaligen demokratischen Kongreßabgeordneten Bruce Morrison stieß letzte Woche in London auf tiefes Mißtrauen. Die Delegation, die sich nach Angaben Morrisons lediglich ein Bild von der Situation in Nordirland machen wollte, traf sich nicht nur mit Vertretern beider Regierungen, sondern auch mit der Führung von Sinn Fein, dem politischen Flügel der IRA. Deshalb sagte die Demokratische Unionistische Partei (DUP) des rechtsradikalen protestantischen Pfarrers Ian Paisley das geplante Treffen mit der Delegation ab und bezeichnete Morrison als „abgehalfterten Politiker, der sich in nordirische Angelegenheiten“ einmische. Morrison widersprach dem jedoch: Wenn der US-Kongreß jedes Jahr 20 Millionen Dollar für den Internationalen Fonds für Irland bewillige, habe man auch das Recht, sich an der Suche nach einer Lösung zu beteiligen. Ralf Sotscheck
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