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„Jetzt gehen wir nach rechts“

CDU-Parteitag: Viel Neigung zur Nation und Abneigung gegen fremde Straftäter  ■ Aus Berlin H.-M. Tillack

„Jetzt gehen wir mal nach rechts.“ So sprach der Kanzler zu seinem Kandidaten, und beide drängten sich am Knäuel der Fotografen und Kameraleute vorbei in das Palais am Funkturm. Die Kapelle schmetterte den Petersburger Armeemarsch. Lange Kerls in altpreußischer Uniform standen Spalier und hißten („Pro Gloria et Patria“) historische Fahnen. Hindurch schritten der Kanzler der Einheit und sein Präsidentschaftsbewerber aus Dresden. So geschehen am Montag, dem 13. September 1993 auf dem abendlichen Empfang des CDU-Parteitags in Berlin.

Rechtsruck? Alles gar nicht wahr, beteuerten der Kanzler und sein Generalsekretär Peter Hintze in ihren Reden am Montag mittag. Was an diesen Beteuerungen zweifeln ließ, war nicht unbedingt das Tschingderassabum beim ersten gemeinsamen Auftritt von Helmut Kohl und Steffen Heitmann. Zweifeln ließ eher schon die Rede, mit der Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble am Dienstag morgen die 1.000 Delegierten zu minutenlangem Applaus hinriß. Schäuble sprach betont häufig von der „nationalen Zusammengehörigkeit“, von der „Rückbesinnung auf unsere nationale Identität“ und von der Liebe zum Vaterland. Mühelos leitete er zu Friedrich dem Großen über und zu dessen Diktum, er wolle der erste Diener seines Staates sein. „In der Demokratie“, fügte Schäuble hinzu, „sollten wir alle nicht nur Herr, sondern auch Diener zugleich sein.“

Er blieb nicht der einzige Redner auf dem Parteitag, der der Nation zur Ehrenrettung verhelfen wollte. Vom alten Stahlhelmer Alfred Dregger bis zur jungen Frauenministerin Angela Merkel führten sie viele im Mund. Keiner vergaß, im selben Atemzug auch Europa zu erwähnen. Doch klang das oft eher wie ein Lippenbekenntnis. In der Partei spiele das Nationale wieder eine „Riesenrolle“, klagte ein Christdemokrat.

„Nie“, fügte er hinzu, sei der Europäer Kohl als Bollwerk gegen die Zeitgeistritter von rechts wichtiger gewesen als heute. Kohl hatte dafür gesorgt, daß auf dem Parteitag alle strittigen Themen – Europa, Wirtschaftspolitik, der Berlin-Umzug – ausgeklammert blieben. Aber auch der Kanzler spielte mit dem neuen Trend nach rechts. Liberale Christdemokraten hielten ihm in Berlin zugute, daß er deutlich wie nie die rechtsradikale Gewalt verurteilte und die Partei per Resolution erneut einen klaren Trennstrich zu den rechtsextremen Parteien zog. Jede politische Zusammenarbeit mit Reps oder DVU sei „mit den Zielen und der Mitgliedschaft in der CDU unvereinbar“, bekräftigte der Parteitag.

Was sonst geschah, fügte sich zu einem anderen Bild. Dazu ließ sich das christdemokratische Bekenntnis zu den angeblich geschmähten Tugenden Patriotismus, Pünktlichkeit, Höflichkeit und Fleiß ebenso zählen wie das Bekenntnis zu dem rechtskonservativen Überfremdungsrhetoriker Heitmann als Präsidentschaftskandidat. Deutlich zeigte sich, daß die Parteilinken um Heiner Geißler nicht umsonst davor gewarnt hatten, die Innere Sicherheit zum Wahlkampfthema zu machen: Unter der Überschrift Kriminalitätsbekämpfung wird sich die Union nicht scheuen, besonders ausführlich von kriminellen Ausländern zu sprechen und den verkappten Asylwahlkampf zu führen, den ein Geißler als Generalsekretär stets verhindert hatte.

Das wurde im am Montag abend beschlossenen Antrag nur andeutungsweise klar. Da legte sich die Union vor allem auf Forderungen fest, die sie bereits seit Jahren vertritt: auf den Lauschangriff, auf höhere Strafen für Körperverletzung und allerlei andere Delikte und auf den Einsatz des Verfassungsschutzes bei der Verbrechensbekämpfung. Den Christdemokraten ist klar, daß all dies einstweilen wegen des Widerstands der FDP keine Gesetzeskraft erlangen wird. Deshalb waren die Unter- und Obertöne interessanter, die am Montag abend auf einem Diskussionsforum zur Inneren Sicherheit zu hören waren.

Innenminister Manfred Kanther persönlich gab den Takt an. Der hohe Anteil von Ausländern bei der Schwerstkriminalität sei eine „Tatsache“, meinte der Minister, man sollte sie jedoch „nicht gehässig ausbeuten“. Mußte wohl heißen: Ausbeuten soll man sie schon. Die Parteitagsorganisatoren hatten einen jungen Polizeihauptkommissar eingeladen, der aus Frankfurt am Main berichtete: Der Straßenhandel mit Drogen werde am Main überwiegend von Asylbewerbern bestritten, die mit „zunehmender Aggressions- und Gewaltbereitschaft“ aufträten. An der Spree seien 30 Prozent der Tatverdächtigen Ausländer, assistierte der Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinsky. Er lieferte farbige Details: Mit Eisenstäben und Samuraischwertern, man denke, trügen vietnamesische Zigarettenschmuggler ihre Bandenkämpfe aus.

Am Vortag hatte auch Kohl seinen Knicks vor den Liebhabern der geordneten Verhältnisse gemacht. „Law and order“, übersetzte der Kanzler, „heißt nichts anderes als Recht und Ordnung.“ Recht und Ordnung, das seien „Errungenschaften der Zivilisation“. Der „Kurs der Mitte“, versicherte er außerdem, „wird nicht verändert“.

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