: Karlsruhe: Drittstaat Griechenland asylunsicher
■ Zurückschiebung einer Irakerin gestoppt
Berlin (taz) – Das EG-Mitglied Griechenland ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht als sicherer Drittstaat anzusehen, in den AsylbewerberInnen zurückgeschoben werden können. Mit dieser gestern bekanntgewordenen Entscheidung vom 13.9.93 haben die Karlsruher Richter gestern einer Irakerin den Aufenthalt in der Bundesrepublik gestattet, bis über ihren Asylantrag endgültig entschieden ist. Die Frau war über die Türkei aus dem Irak geflüchtet und von dort aus via Griechenland nach Frankfurt geflogen, wo sie seit einem Monat im Transitbereich des Flughafens lebt. Der Bundesgrenzschutz, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und das Frankfurter Verwaltungsgericht hatten ihr bei der Ankunft auf dem Aiport die Einreise verweigert und die Stellung eines Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ verwehrt. Die Begründung gab für die Behörden die Drittstaatenregelung des neuen Asylrechts ab, nach der Flüchtlinge, die über sogenannte sichere Drittstaaten in die BRD gelangen, schon an der deutschen Grenze zurückgeschoben werden können. In Griechenland aber, so entschied das BVerfG jetzt per einstweiliger Anordnung, müsse die Irakerin befürchten, in die Türkei weiter- und von dort in den Irak abgeschoben zu werden: „Für den Fall der Zurückweisung würde in Hinblick auf die ausländerrechtlichen bzw. asylrechtlichen Bestimmungen in Griechenland kein wirksamer Schutz vor Weiterschiebung bestehen.“
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl wertete den Karlsruher Richterspruch gestern als „wichtige Vorentscheidung“ über die umstrittene Drittstaatenregelung. Die Entscheidung betrifft zwar zunächst nur AsylbewerberInnen, die über Griechenland als zweite oder dritte Zwischenstation nach Deutschland geflüchtet sind. Doch weist sie auf grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken hin, die auch für andere, bisher als sichere Drittstaaten eingestufte Länder Bedeutung haben: Auch Länder wie Österreich oder Belgien, die für sich genommen unbestritten verfolgungsfrei sind, schieben abgewiesene Flüchtlinge aus Deutschland in den nächsten Drittstaat weiter. Diese Weiterschiebung, so stellte das Bundesverfassungsgericht jetzt klar, macht selbst einen demokratischen EG-Staat nicht zum sicheren Drittstaat im Sinne des Asylgrundrechts. (AZ: 2 BvR 1938/93) Vera Gaserow
Siehe auch Seiten 2 und 5
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