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Wiederbelebungsversuche

Eigentumsverhältnisse ungeklärt, Investoren nicht in Sicht: Eine 1980 stillgelegte Glashütte in Brandenburg soll als Industrie- denkmal erhalten, das Dorf zum Refugium für Kreativurlauber ausgebaut werden  ■ Von Henk Raijer und Gunda Schwantje

Märkischer Tiefschlaf. Nichts Außergewöhnliches in diesem Teil Brandenburgs. Wir kommen von Dornswalde, am östlichen Rand des von eiszeitlichen Schmelzwassern ausgewaschenen Baruther Urstromtals. Mischwald umschließt die schmale Strecke nach Klasdorf, wo der Bahnhof ist und die B 96 nach Berlin verläuft. Wie aus dem Nichts taucht, unerwartet, eine Siedlung auf: Intakte, in Fachwerk-Ziegelbauweise errichtete Langhäuser gruppieren sich mit einigen Stallungen um den Dorfanger. Jenseits der kleinen Anhöhe ein Relikt aus DDR-Zeiten: der Konsum, die unverwechselbare Stilblüte mit dem Charme einer deutsch-deutschen Grenzanlage. Gegenüber noch so ein Ungetüm – der Kontrast zu den historischen Ziegelbauten und den Werkshallen aus der Gründerzeit weiter unten könnte größer nicht sein. „Werkskantine Glashütte“ verheißt ein verwittertes Schild über der Tür. Zum Wald hin ragt ein eckiger Schornstein aus dem satten Grün empor, zwei Schienenstränge verlieren sich im Asphalt. Dann ist da noch eine kleine Verladerampe, ein maroder Waggon.

„Das da ist die Hütte, deren Fabrikate diesen Ort mal weltberühmt gemacht haben“, sagt Willy Greinke und zeigt hinüber zu dem Gebäude am Fuße des Schornsteins, das in seiner blauen Plastikumhausung nicht gerade ein Bild reicher Vergangenheit abgibt. Glasmachermeister Greinke, ein Mittfünfziger, der bis zur Stillegung der „VEB Beleuchtungsglaswerke Dresden – Bereich Glashütte“ vor 13 Jahren mit dabei war, ruft an diesem warmen Juli- Tag eine Vergangenheit wach, die für die verbliebenen 53 Einwohner von Glashütte zugleich die Zukunft bedeuten soll.

Im kleinen Werksmuseum sind jene Produkte ausgestellt, die einst den Weltruhm von Glashütte begründeten. Baruther Milchglas war der Hit, damals in der Blütezeit der Hütte, Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Petroleumlampe auf dem Vormarsch war. Begonnen hatte die industrielle Geschichte des Ortes aber schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts – als Folge eines Naturereignisses: 1715 riß ein Sturm im Wald des Baruther Urstromtals eine große Fläche Holz nieder. Das brachte den damaligen Herrn über Wald und Wiesen, Graf Friedrich Sigismund zu Solms-Baruth, auf die Idee, das Holz produktiv zu nutzen: als Brennmaterial für Schmelzöfen. So holte sich der Fürst einen Pächter, mehrere „kunsterfahrene“ Glasmacher und Alchimisten sowie Arbeitskräfte für die Drecksarbeiten am Ofen, und ab etwa Mitte der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts wurden Fensterscheiben, Tafelglas, Gefäße und grüne Flaschen hergestellt. Um wandernde Facharbeiter zu binden, ließ das Unternehmen für damalige Verhältnisse komfortable Werkswohnungen bauen.

Drei Schmelzöfen hatten die Glashüttener um 1850 in Betrieb, zur Weiterverarbeitung der Glaswaren wurden eine Glasschneiderei, zwei Schleifereien und Formwerkstätten eingerichtet. Mit dem Bau einer neuen Hütte 1861 und einer günstigen Konjunktur kamen weitere Arbeiter nach Glashütte: Aus dem Angerdorf entwickelte sich ein Straßendorf, im letzten Drittel des Jahrhunderts lebten in Glashütte 460 Menschen.

Die Produktpalette war inzwischen um jene Lampenschirme erweitert worden, mit denen die Baruther Hütte auf den Welt-Industrieausstellungen von London (1851) und Paris (1855) ihren Ruhm begründete: Durch die Beimischung von Schafsknochenmehl zu dem glühenden Gemenge aus Quarzsand und Pottasche, aus dem Glas geblasen wird, hatten die Baruther Glastechniker ein Milchglas entwickelt, das einen einzigartigen satten Ton hatte. 200.000 Schirme verließen jetzt monatlich das Werk, 1867 sollen eine Million Lampenglocken und das Dreifache an Zylindern produziert worden sein. Entscheidende Dynamik erfuhr der Absatz durch den Bau der Berlin-Dresdner Eisenbahn um 1840 und erst recht durch das eigene Anschlußgleis von Glashütte nach Klasdorf im Jahre 1875.

Trotz der Innovationen, die etwa die Revolutionierung des Beleuchtungswesens durch Edisons Glühbirne nach sich zog, gehörten die goldenen Zeiten für die Baruther Hütte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Vergangenheit an – daran änderte auch die Erfindung der Thermosflasche in Glashütte nichts. Bis 1900 verließen über 200 Menschen den Ort. Zwar hat auch die Baruther Hütte die Entwicklung der Ofentechnologie nachvollzogen, eine Automatisierung für die Glasproduktion jedoch hat es nie gegeben; die Arbeit in Glashütte ist bis zu ihrer Stillegung 1980 weitgehend handwerklich geblieben. Diese nur partielle Modernisierung sowie die günstige Bahnanbindung waren es, die Glashütte als einzigen Standort in Preußen vor dem frühzeitigen Aus bewahrt haben. Und vor dem Verfall – den aufzuhalten der 1991 gegründete „Verein Glashütte e. V.“ fest entschlossen ist.

Ein wenig wehmütig blickt Willy Greinke vom Gerüst in die Halle des Hüttengebäudes. „Fast 30 Jahre habe ich da unten im Glas gearbeitet, und dann, am 30. September 1980, punkt 13 Uhr, war Schichtende.“ 27 Tonnen Glas seien damals im abgekühlten Ofen zu einem Klumpen erstarrt, erinnert sich der Glasbläser. In den letzten Jahren bis zur Stillegung wurden in Glashütte vorwiegend 20- bis 60-Liter-Gärballons, große bauchige Flaschen für die Chemieindustrie, hergestellt. „Knochenarbeit war das“, so Greinke, „nicht so sehr das Blasen, sondern das ständige Drehen, vor allem bei den ganz großen Ballons.“

Seinen Nachwuchs rekrutierte das Werk von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis etwa 1960 meist aus dem eigenen Kreis; wie nach einem Naturgesetz wurde der Glasbläsersohn Glasbläser, der Sproß eines Schleifers eben Schleifer. Und die Formmacher-Tochter nahm sich einen Formmacher zum Mann. Willy Greinke, dessen Eltern sich erst 1948 in Glashütte ansiedelten, nachdem sie ihren Bauernhof in Pommern hatten aufgeben müssen, ging nur widerwillig in die Lehre. Da ihn aber die Hilfstätigkeiten am glühendheißen Ofen oder bei den Korbflechtern schreckten, entschied er sich für den Beruf des Bläsers.

Fast drei Jahrzehnte lang übte er ein Handwerk aus, das auch zu SED-Zeiten großes Ansehen genoß. Glasmacher verdienten nicht schlecht, Junggesellen waren umworben. „Beim Tanz waren die Jungs von der Hütte bei den Mädels begehrt“, erinnert sich Greinke. Aus Erzählungen der Alteingesessenen weiß er, daß auch in der Vorkriegszeit und lange davor die Atmosphäre „auf Schicht, aber auch im Dorf meistens gut war“. Männer und Frauen arbeiteten im Werk, lebten Tür an Tür mit Kollegen und Freunden, hatten ihre Hühner und Schweine, ihre Gärten hinterm Haus. An schönen Tagen saß man auf der Bank unterm Küchenfenster, schmauchte seine Pfeife, trank Bier unter den Linden vorm Gasthaus. Am Sonntagmorgen ging es zum Kegeln hinter der Schenke, spätnachmittags zum Tanz. Oder man zog sich fein an und fuhr mit dem „Theaterzug“ in 56 Minuten zum Anhalter Bahnhof und stürzte sich in die Vergnügungen der Metropole Berlin.

Auch in den ersten Jahren realsozialistischer Herrschaft änderte sich an der beschaulichen Atmosphäre im Dorf kaum etwas. Erst die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft sprengte die herkömmliche Sozialstruktur: In der ländlichen Umgebung Baruths entstanden Arbeitsplätze, die so manchem Glasarbeiter attraktiver erschienen. Greinke: „Wer wollte schon in einer bis zu 70 Grad heißen Werkshalle Schichtarbeit machen, wo doch die LPGs einem guten Verdienst, frische Luft und eine Wohnung in der Nähe anboten. Da sind dann viele abgewandert.“ Mit der letzten Schicht im September 80 war auch für das Dorf der Ofen aus, da half auch eine herbeigeholte Ersatzproduktion nicht mehr viel. Die Wende besorgte den Rest: „Heute leben hier fast nur Rentner“, so Greinke.

Seit anderthalb Jahren steht nun das Gerüst; ohne die Plastikumhausung, die die Gemäuer vor den Klimaeinflüssen schützt, würde die Hütte bald wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Über 100.000 Mark im Jahr kostet den Verein, der sich die Rettung des Ortes und des Denkmals Glashütte vorgenommen hat, die Stabilisierung des Hüttengebäudes – eine läppische Summe, verglichen mit den geschätzten 20 bis 25 Millionen, die es aufzubringen gilt, um die historischen Wirtschaftsgebäude zu restaurieren und die Werkswohnungen zu erhalten. Mit der einmaligen Spritze von 1,2 Millionen Mark, die der Vorsitzende des „Vereins Glashütte e. V.“, der SPD-Landtagsabgeordnete Christoph Schulze, 1992 aus der Potsdamer Landeskasse hat lockermachen können, ist kein wirksamer Denkmalschutz zu machen. „In die Stiftung ,Schlösser und Gärten‘ wird jede Menge Mark reingepumpt“, sagt Schulze, der aus der Zossener Geschäfsstelle des Vereins herübergekommen ist, „während hier ein historischer Industriestandort auseinanderbröckelt. Für ein technisches Denkmal fehlt einfach die Wertschätzung.“ Sofortige Maßnahmen sind dringend geboten. Doch solange der Verein auf Spenden angewiesen ist und die Eigentumsfrage an der Hütte samt ihrer Werkswohnungen ungeklärt ist, verschlingt die Umhausung weiterhin Geld, und Nutzungskonzepte verstauben in der Schublade.

Schulze ist um eine Vision für den Ort nicht verlegen. „Industriedenkmäler von gestern für unser Denken von heute“, lautet das ambitionierte Museumskonzept. Der bildende Charakter des technischen Denkmals Glashütte soll darin bestehen, daß der Nachwelt eine Ahnung von Leben und Arbeit im Ort vermittelt wird. „Kultur und Natur“ verspricht eine Konzeption, die die Wiederbelebung des Ortes durch einen sanften Tourismus ins Auge faßt. „Kreativurlaub für gestreßte Stadtmenschen“ heißt die Devise: Töpfern und Glasblasen in ländlich-ruhiger Umgebung, Bildungsurlaub und Seminarkultur in historischem Ambiente. Auch ein bescheidenes Angebot an Ferienwohnungen schließt der Verein nicht aus. Das nötige Kleingeld zur Realisierung solcher Projekte erhofft sich der Verein von privaten Investoren. Eine kleine Schauproduktion könne er sich vorstellen, schwärmt Schulze, Glaskünstler von überall könnten sich für eine bestimmte Zeit in Glashütte einmieten und das Handwerk wiederbeleben. „Was wir aber auf keinen Fall wollen, ist eine Künstlerkolonie.“

Tagträumereien, solange die Millionen fehlen, solange die Zukunft eines Dorfes, das mal einem Betrieb gehörte, an ungeklärten Eigentumsverhältnissen hängt. Mal ganz abgesehen davon, daß die vom Verein favorisierte Konzeption für Glashütte im Ort nicht nur Anhänger findet. Schräg gegenüber der „alten“ Hütte sitzen auf der Holzbank vor ihrem Küchenfenster Inge Kuhn und ihre Freundin. Die beiden Rentnerinnen haben ihr ganzes Leben in Glashütte verbracht, in der Verpackung und in der Kantine gearbeitet. „Als noch gearbeitet wurde, hat's sich schön gelebt hier“, sagt Inge Kuhn und zupft gedankenverloren an einer Sonnenblumenblüte am Gartenzaun. Die Grabesruhe mag sie nicht besonders. Richtige Bedenken jedoch hegt sie gegen die Auflagen der Denkmalschützer, die höhere Mieten verlangen und ihr Vorschriften machen würden. Auch hält sie nichts von der Idee des Vereins, die Idylle von Glashütte durch Tourismus, wie sanft auch immer, zu durchbrechen. „Schon heute kommen Reisebusse, latschen Fremde durch unsere Gärten hier am Anger. Da komme ich mir vor wie auf 'nem Präsentierteller“, stöhnt sie. „Ich bin doch kein Museumsstück.“

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