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Welcome to Marlboro Country

■ Die Blood Brothers (aka Pressure Drop) heute im Powerhouse

In der Welt der Rodeoreiter, die zuletzt eher mit schwulenfeindlichen Sprüchen auf sich aufmerksam machten, spricht man jetzt eine andere Sprache. Mit beachtlichem Erfolg veröffentlicht Marlboro Music seit gut einem Jahr Clubacts aus London. Die Zugpferde des Labels sind Pressure Drop aka Blood Brothers. Unter ersterem „Band“-Namen sind Justin Langlands und Dave Henley diesen Monat mit ihrem Zweitling Front Row in die Charts eingstiegen. Als die Blutsbrüder arbeiten sie auf zwei Feldern: Zum einen organisieren sie die London-Underground-Series, eine CD-Compilation mit Dancefloor-Acts aus U.K., und zum anderen arbeiten sie unter diesen Synonym in ihrer Ursprungsleidenschaft, als DJs.

Ihr musikalisches Erfolgsrezept ist Pop, der sich politisch korrekt gibt. So p.c. wie es gerade angesagt scheint, trällert ihre Singleauskopplung „Unify“ nicht von einer trauten Zweisamkeit, sondern von nichts weniger als dem Zusammenleben der Völker. Während im US-amerikanischen Hip-Hop die „Unity“ immer die Einheit der von Weißen rassifizierten schwarzen Gemeinschaft meint, versteht Justin Langlands, ein junger Catweazle mit Häkelkäppi, „Unify“ als Aufforderung an Schwarze, Weiße und Muslims, sich als Gruppen zu unterscheiden, um sich später unter neuen Voraussetzungen zusammenzuschließen.

Zusammenschluß - das klingt aus dem Mund von Pressure Drop wie ein frommer Wunsch. Überhaupt lassen sich die Aussagen von Pressure Drop nur als Möchtegern-Politik in einer grundsätzlich eskapistischen englischen Clubkultur lesen. Pressure Drop sind in etwa so politisch wie ein Housestück bei dem die Revolution ausgerufen wird oder wie Jamiroquai, die ihr Einstehen für den Regenwald in Mißklang bringen mit dem Vertrag bei Sony, einem Flugzeugbauer.

Auch im Gespräch reichten ihre Analysen kaum über die Zehn Gebote hinaus. Politik behandeln sie als Liebesangelegenheit. Ihren Vertrag mit Marlboro rechtfertigt Dave Henley. Mit „wenn man nicht mit schmutzigem Geld in Kontakt geraten will, kann man ja nicht mal diese Sprudelflasche anfassen“, demonstriert er die Gesetzmäßigkeiten der „hündischen Wirtschaft“, die er in „Unify“ für viele Mißstände verantwortlich macht.

An der Musik jedoch gibt es wenig zu mäkeln. Während ihr letztjähriges Debut noch wie ein Sampler gängiger Londoner Club-Stile wirkte, ist Front Row zusammenhängender konzipiert und orientiert sich eher an Massive. Für die gehörige Prise Soul sorgen Joanna Law, die Schwester des Soul II Soul Produzenten, und Brian I-Gad als Schmuser. Darum können alle diese Platte gut finden, ohne von Vorurteilen gegenüber der „seelenlosen“ Clubmusik Abstand zu nehmen.

Da sie nur auf Tour gehen wollen, wenn sie nicht in die Top 40 kommen, besteht die Möglichkeit, das Duo bei der Arbeit zu besuchen, ersteinmal nur bei ihren DJ-Acts in Hamburg. Nach zwei Auftritten im Mojo-Club kommen die Blood Brothers heute zum Plattenauflegen ins Powerhouse. Von Reggae bis House, von Soul bis Ska findet sich alles in ihrem Programm, das spät in der Nacht nur dadurch gestört wird, daß die betrunkenen Zwei immer gegen die Plattenspieler stoßen. Volker Marquardt

Powerhouse, Simon von Utrecht-Str. 42, 23 Uhr

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