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„Tiger Lateinamerika“

■ betr.: keinerlei Artikel zum 20. Jahrestag des Putsches gegen die Regierung von Salvador Allende

[...] Keinerlei Artikel zum 20. Jahrestag des Putsches gegen die demokratisch, gewählte, linke Regierung von Salvador Allende am 11. September 1973 durch den Verbrecher und Mörder Pinochet mit Unterstützung der westlichen- sprich kapitalistischen Welt — allen voran die USA — zumal das Schicksal des revolutionären Prozesses in Chile einige historische Bedeutung für Lateinamerika und für die Linke überhaupt und die vielen ChilenInnen, die ins Exil gehen mußten und auch hier Aufnahme fanden, hatte. Hätte es dieser Tage in Chile keinen Widerstand und nicht die alte Wut gegeben, wäre in der taz nicht einmal ein Artikel erschienen.

Der Bericht von Astrid Prange stellt vermutlich den Verlauf der Ereignisse richtig dar, kann es aber nicht lassen trotz aller Menschenrechtsverletzungen, trotz Folter und Morde nach dem 11. September 73 durchgehend in den 70er und 80er Jahren und dem verbreiteten Massenelend Pinochet wegen einiger positiver wirtschaftlicher Tendenzen — und dabei die Rechte zitierend — die dem „Tiger Lateinamerikas“ sozusagen als Retter und Gründer eines modernen Wirtschaftssystems huldigt und Astrid Prange in ihrem Kommentar so unwidersprochen hinnimmt und freilich nichts anderes tat als Ausbeutung zu verschärfen und rücksichtslos die Resourcen des Landes wie die Wälder bei fatalen, ökologischen Folgen auszuplündern.

Pinochet ist schon während seiner Militärzeit als feige charakterisiert worden. Weshalb sollte ausgerechnet er seine eigenen Folterknechte verraten, zumal es ihm selbst verdientermaßen ans eigene Leder ginge?

Kapitalismuskritik ist nicht mehr „in“ und deshalb wird auch nicht mehr über die eigenen revolutionären oder sagen wir linken Initiativen gesprochen und Perspektiven und Werte wie Sozialismus, Solidarität und Internationalismus sind aus dem Weg geräumt, weil vielleicht zur Zeit nicht die Machtverhältnisse dazu da sind, als bedürften gute Ideen oder Utopien einer Machtbasis. Die marode Sowjetunion und der Ostblock kann doch nicht das einzige Kriterium dafür gewesen sein.

Es ist doch nicht zu vergessen, daß viele Menschen in Chile, in Lateinamerika und auch sonst in der Welt ihr Leben dafür eingesetzt haben um menschenwürdigere Verhältnisse durch demokratische also soziale und politische Veränderungen herzustellen. Man kann doch nicht übersehen, daß die Hoffnungen und Anstrengungen ganzer Völker, deren historische Möglichkeiten zerstört worden sind mit so viel Leid und Blut bezahlen mußten. Und die Verantwortlichen werden nicht mal zur Rechenschaft gezogen, sondern sozusagen als Wirtschaftswunderhelden gefeiert. Die Wut am 11. September ist gut zu verstehen.

Wenn in Chile eine wirtschaftliche Erholung mit Pinochet und Chicacoboys stattgefunden hat, dann auf Grund gesteigerter Ausbeutung und Gewinntransferierung ins Ausland. Ein Chilene sagte mir dieser Tage am Telefon, es herrsche nicht mehr die Repression wie während der Diktatur, die Löhne seien nach wie vor niedrig und die Mieten ernorm hoch und das heißt die Massen haben nicht mal Kaufkraft. Drum so viel Lob im Wallstreetjournal. Gerolf Thielmann, Dillenburg

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