: Souverän wie die Leidenschaft selbst
■ Alfred Brendls Beethoven in der Musikhalle vereinte Tempo mit Präzision
Auf CD bringt er gerade seinen dritten Beethoven-Zyklus heraus. Life ist er auf Mammut-Tour mit den 32 Sonaten. Am Freitag spielte Alfred Brendl von op.2 alle drei Stücke, dazu die Appassionata op.57. Die Auswahl führt Entwicklungen vor: In den Klavier-Erstlingen die Ablösung Beethovens von Mozart und Haydn und die Hinwendung zu romantischen Freiheiten in Satz und Sinn; in der Appassionata den Abschied von der bis dahin üblichen Klaviersonate. Auf op.57 folgten Besonderheiten.
Das Tempo, in dem Brendl kerzengerade und im Frack mit Röhrenhosen über die Bühne zum Flügel eilte, war symptomatisch für diesen Aspekt auch seines Vortrags. Op.2/1 spielte er mit launigem Drive, scharf artikulierend, herb, nie derb. Sparsames Pedal sorgte für antiromantische Klarheit, Brendls obertonreicher Klang für Präsenz. Ein beeindruckender Auftakt.
Man hört es auch den beiden anderen Sonaten aus op.2 an, daß der junge Beethoven sie im Vollgefühl seiner Chancen komponierte, im Wien der Jahre 1793/1794 ganz groß rauszukommen. Das A-Dur-Stück ging in den vielen Läufen und Arpeggien etwas zu flott von Brendls Hand, war weit vorgerückt ins Jahrhundert der Liszts und Chopins. Die Dialektik von weichem Melos der rechten und Pizzicato-Bässen der linken Hand im Largo war freilich wunderbar, der konzertante Charakter dieser Sonate, ihr Charme und ihre Sonnigkeit kamen zur Geltung.
In op.2/3 stimmte es dann wieder mit den rollenden Läufen, den grollenden Triolen. Das Werk neigt sich deutlich zu Üppigkeit und Farben kommender Zeiten, trotzdem blieben Details präzise: Brendl formulierte etwa das Doppelschlag-Motiv mit - für sein enormes Tempo - bewunderungswürdiger Deutlichkeit; die knifflige Stelle der Dezimenvorschlägen in der Durchführung - von Beethoven als Stolper-stein für seine Virtuosenkonkurrenten angelegt - bereitet ihm keine Probleme.
Die Appassionata machte das Vorhergehende dann ein wenig zum Upwarming. Der freie Umgang mit den Tempi, bei Brendl bisweilen ein Zeichen allzu gefühligen Einstieg ins Gefühl, stellte sich als Mittel kluger Disposition des Gesamtverlaufs heraus. Klein-, Schwer- und Großmut gingen ineinander über. Brendls absolute Geläufigkeit bewährte sich in den nahezu unspielbar schwierigen Partien dieser Sonate mit einer Selbstverständlichkeit, die den Blick auf die komplizierte Dramaturgie des wilden Werks erst ermöglichte. Das Tempo war halsbrecherisch, in der Stretta des Finales legte er gar noch zu, und blieb souverän - souverän wie die Leidenschaft selbst. Stefan Siegert
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