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■ Vom Siedlungsbrei zur WaldstadtSerie: Die neuen Quartiere (3. Folge) / Das Dorf Müggelheim im Südosten Berlins soll durch ein "Modellprojekt landschaftgerechten Städtebaus" von einer piefigen Idylle zu einem neuen Wohnort umgebaut ...

Vom Siedlungsbrei zur Waldstadt

Der Traum vom kleinen Häuschen auf dem Lande oder in einer der bevorzugten Wohngegenden am Stadtrand beinhaltet, nicht mehr und nicht weniger, die Absage an die Stadt, ihre Architekturen und Raumbildungen, ihre Lebensformen und Zerwürfnisse. Der Traum vom Haus nährt sich von der Illusion der grünen Inseln, der großen Stadtrandsiedlungen aus der Reformzeit oder den Gartenstadtideen der zwanziger Jahre. Die Verländlichungen der siebziger Jahre aus Häuschen in Punkt-, Terrassen- oder Kurvenformen machen wohl weniger Angst vor dem „Prinzip Stadt“, ihren Funktionen und ihrem Zwangscharakter. Also leben die Stadtflüchtigen nach den fragilen Prinzipien der Idylle.

In Müggelheim, der Waldsiedlung zwischen Köpenick und Gosen, glaubt man sich der Stadt meilenweit entrückt – und doch wieder nicht. Berlin ist hinter dem Berg, aber immer gegenwärtig: Müggelheim ist die Verkörperung einer anachronistischen Idylle. Um den historischen Dorfkern mit Kirche breitet sich seit den vierziger Jahren ein absurder Flickenteppich aus Ein- und Zweifamilienhäusern, Datschen und Holzhütten, der vom Verfall räumlicher Gestaltungsprogramme zeugt. Auf Parzellen, die von der Straße tief in die Viertel hineinreichen, schießen selbstgezimmerte Häuser neben Steinbauten ins Kraut. Das Verhältnis zwischen Grundstücks- und bebauter Nutzfläche, das in der sogenannten Geschoßflächenzahl (GFZ) gemessen wird, liegt unter 0,4. Viel Platz, oder doch nicht?

Im nördlichen Abschnitt der 70 Hektar großen Siedlung, nahe am Müggelsee, verliert sich die Bebauung hinter schmiedeeisernen Gittern, Ligusterhecken oder Fichtenwällen. Den Dorfkern mit Kaufhalle in Tafelbauweise und das ehemalige Antennengelände hält sich die Siedlung quasi auf Distanz, als hätte sie Angst vor einer Verzahnung und Verdichtung mit dem historisch geplanten Areal.

Nach einer grünen Naturszenerie, die bis heute als Gärtnerei genutzt wird, wuchert der Einfamilienhaus-Brei hinauf zur Ludwigshöhe oder schwenkt nach Süden zum Waldseehafen entlang der Krampe. Orientierungen in der wirr verschachtelten Topographie des Müggelheimer Stadtgrundrisses verschaffen – neben dem Dorfkern – die Wald- und Wiesenlücken: die „Saugärten“ im Osten, die „Apfelbaumstücken“ im Norden oder die „Weinberge“ an der Gosener Landstraße – weite Flurareale für zukünftiges Bauland und Naturbereiche, mit schützenswerter Flora und Fauna.

Der Anachronismus erscheint laut und grell. Die Gegenwart der nahen Stadt spiegelt sich in der unerträglichen Durchfahrt donnernder Müllfahrzeuge, die zur Gosener Kippe rasen, und in den langen Autoschlangen mit Berliner Bootsfans, die die einzige Verbindungsstraße nach Berlin, den Müggelheimer Damm, verstopfen. Die Nähe der Metropole sieht man ebenso den Einkaufstaschen der Hausfrauen und den Accessoires hinter den Fenstern, im Vorgarten oder in der Garage an. Berlin ist in der Ungleichzeitigkeit der Müggelheimer allgegenwärtig. „Mißtraue der Idylle“ hat jemand auf die Rücklehne im Bus gekritzelt, der wie im Transit Köpenick mit der Waldinsel verbindet. Nicht nur die mangelnde öffentliche Erschließung macht die Defizite quälend bewußt. Kein Haus hat Ver- und Entsorgung, alle Stromleitungen müssen neu gelegt werden, gekocht und geheizt wird mit Propangas. Nach Berlin Mitte, zur Arbeit oder ins Kino, dauert die Reise im 20. Jahrhundert genauso lang wie zur Gründerzeit Müggelheims 1747, nämlich über eine Stunde.

Der Gedanke, Müggelheim in ein mondänes Wannsee des Südostens verwandeln zu können, übersieht den Bestand und die Macht kleinbürgerlicher Spießigkeit, die seit Jahrzehnten mit Ready-Mades und Provisorien im märkischen Sand nisten. Die Ausweisung neuer Wohnungspotentiale für 1.500 zusätzliche Bewohner zur Verdichtung des Ortes mit städtisch geprägten Häusern und stadträumlichen Figuren wird sich auf einzelne Standorte konzentrieren müssen. „Die zukünftige Entwicklung des Ortes“, erklärt die Architektin Nass, zuständige Projektleiterin im Köpenicker Bauamt, „muß sich aus den Parzellenstrukturen, dem Bestand und dem denkmalgeschützten Dorfkern ableiten.“ Private Bauvorhaben, die auf eine Veränderung des Siedlungscharakters hinwirkten und im Widerspruch zur dörflichen Struktur stehen, ließen sich nicht durchsetzen. Das Dorf erlaube nur eine Sanierung und behutsame Modernisierung, kleinräumliche Verdichtung sowie den Schutz von Naturräumen. Bleibt das neue Müggelheim das alte?

Die Entgleisungen des wilden Häuschen-Dschungels im Müggelheimer Wald sind Abbild der langen Geschichte des Ortes und seines peripheren Verhältnisses zur Stadt. Die 1747 von Pfälzer Bauernfamilien gegründete friderizianische Kolonie auf dem Köpenicker Werder wies bis in unser Jahrhundert keine große bauliche Verdichtung auf. Die räumliche Entwicklung konzentrierte sich lange auf die ursprüngliche Anlage des Ortes. Um den rautenförmigen Dorfplatz mit Schule und Kirche gruppierten sich eingeschossige Bauernhäuser mit Remisen und Stallungen.

Erst nach dem Ersten Weltkrieg entstanden kleine Ansiedlungen an den verschiedensten Stellen des Areals, die sich erst nahe des Müggelsees und später im Südosten in den Köpenicker Stadtforst fraßen. Die Bedürfnisse der Bewohner des steinernen Berlins leiteten in den zwanziger Jahren eine Bautätigkeit und den Run auf die Sommerfrische ein. Es wurde mit Grundstücken spekuliert; ohne baurechtliche Grundlage natürlich.

Die flächenmäßig umfangreichste Entwicklung, so erinnert ein Gutachten der Gesellschaft Wohnungsbau und Stadterneuerung, das im Auftrag des Köpenicker Bauamtes erstellt wurde, vollzog sich in Müggelheim in der Zeit zwischen 1936 und 1945. „Am Ende des Krieges, infolge der Ausbombungen, zogen vielen Berliner in ihre Lauben sowie Wochenendhäuser, und es wurden Behelfsheime errichtet. Teile davon entwickelten sich in Müggelheim nach dem Zweiten Weltkrieg zu ständig bewohnten, mehr oder weniger komfortablen Eigenheimen.“

Die Entwicklung nach 1945 wurde durch eine weitere Ausdehnung des Gebiets mit Klein- und Wochenendgärten bestimmt. Gewerbebetriebe und ein paar Einzelhandelseinrichtungen wurden errichtet. Es entstanden die Schule, die Kaufhalle, der Sportplatz und eine Sendestation. Der Eigenheimbau fand in begrenztem Umfang auf vorhandenen Parzellen, in erschlossenen Flächen am Alsenzer Weg und in der Werksteinsiedlung statt.

Für die neue „Waldstadt Müggelheim“ für insgesamt 3.000 bis 4.000 Bewohner und 500 neue Wohnungen soll ein Spagat zwischen den vorhandenen natur- und siedlungsräumlichen Strukturen einerseits und der Neuerschließung und Planung für städtische Quartiere andererseits versucht werden: mit Vorsicht und ohne radikale Masterpläne. Die Planung stelle, so Bauamtsleiter Bock, ein „Modellprojekt landschaftsgerechten Städtebaus“ dar; mit allen Risiken des Experiments.

Die Rahmenplanung verzichtet auf eine Entgrenzung der bestehenden Siedlungsfläche und führt statt dessen der Insellage Müggelheims mehr Stadt zu – um diese zugleich mehr zur Natur hin zu öffnen. „Um zu verhindern, daß Müggelheim eine amorphe Fläche von Einzelhausbebauungen bleibt“, so Nass, „soll die zukünftige Planung neben dem Schwerpunkt des Dorfangers weitere Flächen für eine verdichtete Entwicklung erschließen.“

Am Ludwigshöhe Weg/Müggelheimer Damm wird ein Wohnquartier entstehen, ebenso ist geplant, auf dem Gelände der Baumschule Wohnbauten und eine Kita zu errichten. Die „Saustücken“ werden zu Wiesenbiotopen qualifiziert, die Uferbereiche sollen mit Wegen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Den Zwangscharakter der eingezäunten Idyllen hofft man durch Aufschließungen, Zusammenführungen und Grundstücksteilung aufzubrechen.

Die Entwürfe des städtebaulichen Wettbewerbs für das Wohnungsbauvorhaben am Ludwigshöhe Weg bilden den ersten Schritt in die Richtung eines städtischen und zugleich landschaftlich orientierten Ausbaus. Die Planungen des Architekturbüros Planstadt (1. Preis) markieren mit einer halbrunden Zeile am Beginn des Baugebiets einen „Kopf“, der als offene Figur mit Läden und Wohnungen einem „Stadtplatz“ Raum gibt. Von ihm aus breitet sich ein fächerförmiges und später rechtwinkliges Wegenetz aus, das die Wohnbauten in ihrer Größe hierarchisch von der Mitte zum Rand gestaltet. Der 2. Preis wurde wegen seines ökologischen Städtebaus dem Dortmunder Investor VIA ebenfalls zur Überarbeitung empfohlen. Die Gruppe Werkstadt teilte das Gelände in Nord- und Südbereiche, setzte die Straße als Kante und ließ die Bebauung der Grundstücke zum Wald offen, um weniger Eingriffe in die Natur erforderlich zu machen.

Die städtebaulichen Ziele und bodenrechtlichen Instrumentarien bilden indessen nicht die einzigen Garanten, um einen unstädtischen Reihenhauswildwuchs zu verhindern. Die Architektur selbst hat Zeichen zu setzen. Kleine Gutsherrenresidenzen mit Erkern und Dreiecksgiebeln steigerten den Vorort erneut ins Idyllische und verweigerten ihm die Chance, städtische Funktionen und Nutzungen zu erlangen. Bauliche Motive aus dem Einfamilienhauskatalog oder architektonische Klischees von Trabantenstädten im Kleinen neben ein paar spektakulären Villen Neureicher und putzigen Altbauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert machten aus der Müggelheimer Waldsiedlung nur mehr einen Ausflugs- und Rückzugsort.

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