piwik no script img

Herrenloses Gut

Vor- und Nachteile einer schönen Fundsache  ■ Von Gabriele Goettle

Eines Tages war es wieder einmal soweit, den guten Vorsatz endlich fluchend in die Tat umzusetzen. Offenbar erging es auch anderen Leuten so, sie hatten nur früher gehandelt. Am Nachmittag jedenfalls, als ich mich endlich durchgerungen hatte, waren die beiden Papiercontainer an der Ringstraße bereits bis oben hin voll. Daneben türmten sich Kartons und Zeitungsbündel. Ich legte meine Zeitungen dazu und sah, als ich gerade gehen wollte, einen Stapel sehr staubiger Kartons hinter dem Altpapier stehen. Eigentlich waren es robuste, flache, kittfarbene Schachteln, mit zartem Goldstreifen im marmorierten Papier. Als ich den Deckel abnahm, sah ich einen Herrn mit erhobenem Zeigefinger in einer englischen Parklandschaft stehen, zu seinen Füßen ein schwarzer Scotchterrier, der aufmerksam nach oben blickt. „Hans Loeffler und Billy – 1937–“ stand mit Bleistift, in gestochen schöner Schrift unter dem großen Schwarzweißfoto. Etwa fünfzig weitere Fotografien fand ich in der oberen Schachtel, alle auf ca. DIN- A3-großem, dickem Büttenpapier aufgezogen und sorgfältig beschriftet. Die Schachtel selbst war innen mit blau-weiß gemustertem Leimpapier bezogen, beim Unterteil konnte man den Rand umklappen, so daß sich der ganze Stapel leicht herausnehmen ließ. Eine wunderbare buchbinderische Arbeit. Schon der Schachteln wegen beschloß ich, den Fund an mich zu nehmen. An Schachteln besteht ja immer großer Bedarf.

Es kostete den Aufwand einiger Mühe, sie alle wohlbehalten nach Hause zu schaffen, aber Freude und Neugier beflügelten mich. Erst als dieser graugrüne Turm aus zwölf Schachteln in meinem Arbeitszimmer stand, beschlichen mich leise Bedenken, die sich jedoch sofort zerstreuten, bei näherer Betrachtung der Fundstücke. Jede einzelne Schachtel trug eine, in Leder eingeprägte, goldene Zahl. Auf jedem Deckel klebte ein graphisch als Monogramm gestaltetes Namensschildchen des ehemaligen Eigentümers, eines Architekten, namens Otto Firle, aus Berlin.

Ich öffnete Schachtel um Schachtel, betrachtete die Bilder und wurde hinweggerissen zu Mecklenburger Herrensitzen, nordischen Fjorden, südschwedischen Sonnenuntergängen, sah Hafenanlagen und wie reiche Menschen eine Yacht besteigen, befand mich im Getümmel der Pariser Weltausstellung, auf Wolkenkratzern, in New Yorker Straßenschluchten und unter der Manhattan Bridge. Offenbar war der Architekt sowohl an romantischen als auch an sachlichen Sujets interessiert. Angenehm die Mischung, die Ruhe, mit der sie zustande kamen.

Anhaltspunkte zur Person des Fotografen gibt es kaum, auch heute, wo ich die Bilder noch einmal betrachten will, wird er nicht kenntlicher werden. Da alle Fotografien aus den Jahren zwischen 1936 und 1938 stammen, würde man natürlich schon gerne wissen, ob der Mann Täter, Opfer oder weder noch war. Da gibt es einerseits die Fotografie eines gräßlich rustikal eingerichteten Raumes in Görings Jagdhaus Karinhall, andererseits gibt es ein Bild von Herrn Rosenblad, der eisessend auf einem Vorortbahnhof von Helsinki steht und freundlich lächelt. Diese Frage und alle anderen müssen wohl offenbleiben. Tatsache ist, die Fotos lägen im Grunde längst unter einem Berg von Müll, wo es dann weder auf ihren Urheber noch auf sie selbst mehr ankäme. Ich könnte nun natürlich Nachforschungen anstellen, es wäre sicher sogar recht leicht, so etwas wie eine Kurzbiographie zusammenzubekommen, doch was würde sich ändern?

Unübersehbar ist ja, in welchen Kreisen sich Herr Firle bewegte. Da sind die sehr intimen Aufnahmen von Schloß Bülow und Schloß Trebbow, die nicht von einem Fremden gemacht wurden, sondern von einem Gast des Hauses, da sind die mit lässiger Arroganz aus dem Bild blickenden adligen Fräuleins und Jünglinge mit den Vornamen Els und Arndt, die Sylter Badegäste, die sich mit gespielter Laszivität in die Düne legten, die Passagiere der Luxusklasse auf dem Ozeandampfer. Genaugenommen, je öfter ich die Bilder betrachte, um so unsympathischer wird mir ihr Fotograf. Wahrscheinlich ist er dieser Herr, der mehrmals im Bild ist, etwas feist, saturiert, mit tiefen Geheimratsecken, Fliege, Ziertuch und Zigarre. Warum mache ich mir Gedanken? Schließlich, es kommt ja vor, daß auch Opfer unsympathisch sind.

Merkwürdig, je länger ich im Besitz dieser Fotos bin, um so mehr beginnen sie mich zu stören. Dabei war alles doch überhaupt nur wegen der Schachteln gekommen. Sie wollte ich. Fotos kann man ja wegwerfen. Anfangs war ich noch der Meinung, es sei nicht schade drum. Ich hätte sie von dem schönen Büttenkarton ablösen können. Hätte wunderbare Schachteln gehabt. Doch dann

Fortsetzung auf Seite 15

Fortsetzung

wurde mir vollkommen klar, daß ich die gar nicht für mich würde verwenden können, denn, wohin dann mit den Fotos, die zum Wegwerfen viel zu gut sind. Es wäre geradezu sträflich. Sie brauchen eine massive, sichere Hülle zu ihrem Schutz, und dafür sind die Schachteln ja geschaffen. Andererseits, so sage ich mir, schaut man Fotos, seien es nun eigene oder von fremden Leuten, eher selten an. Lohnt es sich, für diese wenigen Momente der Freude einen hüfthohen massiven Block im Zimmer zu dulden, der alles in allem seine 50 Kilo wiegt? Was wird im Falle eines Umzuges, der ja vielleicht irgendwann ansteht? Man müßte wahrscheinlich die Nachmieter bitten, das zu behalten oder wegzubringen. Erben sind ja auch keine da, und selbst wenn, man sieht ja an diesem Beispiel, daß sie sich nichts daraus machen.

Ich werde das Gefühl nicht los, daß es mir geht wie ihnen, die sich ja auch gefragt haben: Was sollen wir damit? Aber einmal angenommen, ich hätte einen Kompromiß gefunden, die Fotos abgetrennt und weggeworfen, oder sogar zusammen mit den Büttenkartons weggeworfen, so hätte sich immer noch nicht viel an Gewicht und Volumen der Schachteln geändert. Allmählich kommen mir auch Zweifel daran, ob die Schachteln, gesetzt den Fall, ich hätte sie zu meiner Verfügung, überhaupt so praktisch sind, wie ich geglaubt und weshalb ich sie ja überhaupt mitgenommen hatte. Wahrscheinlich sind sie überhaupt nicht praktisch, weder jetzt – weil voller Fotos – noch in leerem Zustand, weil viel zu schwer. Ich könnte mir vorstellen, sie sind hier genauso im Weg, wie sie es vorher anderswo waren.

Andererseits kann ich es aber einfach nicht übers Herz bringen, sie wieder zurück zu den Containern zu stellen. Das liegt ganz einfach daran, daß sie zu schön sind zum Wegwerfen. Von ihrem Inhalt ganz zu schweigen. Nun, es ist offensichtlich, ich werde der Schachteln nicht Herr. Jetzt wiederum, indem ich diese Worte schreibe, überkommt mich ein ungutes Gefühl. Was, wenn Erben ersten, zweiten oder dritten Grades diesen Bericht lesen und einen Anspruch geltend machen? Da würde ich mich aber sehr verwahren, gegen ein solches Ansinnen! Wie eine Löwin würde ich kämpfen für diese Schachteln, wenn es sein muß. Wobei, genaugenommen, ich auf die Schachteln ja noch verzichten könnte, das würde mir gar nichts ausmachen, Hauptsache, ich behalte die Fotos. Aber so dumm wäre ja keiner, die Schachteln allein zu nehmen. Die Fotos allein hingegen sind wahrscheinlich nur noch halb so interessant. Es muß schon alles zusammenbleiben, wie es ist. Die üblichen Vorstellungen von Nützlichkeit kann ich ja auch mal beiseite lassen.

Man könnte sich allerdings fragen, ob die Fotos diese ganze Mühe wirklich wert sind. Ich habe mich nie besonders für Fotografie interessiert. Und von diesen hier, so scheint mir, sind einige nicht nur langweilig, sondern auch von ihrer technischen Qualität her nicht in Ordnung. Sie wegzuwerfen wäre sicher kein Fehler. Die wenigen guten oder auch meinetwegen brillanten Aufnahmen könnte ich bequem in einem Schuhkarton unterbringen. Dann hätte ich zwölf Schachteln, jede innen mit einem anders gemusterten Leimpapier in verschiedenen Farben ausgekleidet. Sie wären leer, würden dastehn wie ein kittfarbener Block, mit zarten Goldstreifen und Nummern, ohne zu stören. Doch wozu? Genauso haben wahrscheinlich die Erben gedacht. Es ist ja nun die große Zeit der Erben angebrochen. Leute, kaum älter als ich, erben Häuser, Aktien, Möbel, Bücher, und auch Bilder aller Art. Alle erben irgendwas, nur ich nicht. Weder heute noch morgen. Da sollte man doch wohl froh sein über einen solchen Fund, könnte man denken.

An sich bin ich ja auch gar nicht undankbar. Vielleicht war es der Erbe auch nicht? Womöglich hat er alles treu bewahrt und ist nun seinerseits verstorben? Allerdings, oft kann er nicht reingeschaut haben in die Schachteln, dem Geruch nach zu urteilen, standen sie längere Zeit im Keller. Anfangs jedenfalls rochen sie ganz leicht nach Moder. Jetzt, wo ich es hinschreibe, fällt mir ein, vielleicht riechen sie immer noch, und ich habe mich nur an ihren Geruch gewöhnt? Um ehrlich zu sein, die eine oder andere Schachtel hat Schimmelflecke, ist vielleicht ein bißchen abgestoßen. Allerdings handelt es sich hier nur um die unten stehenden Exemplare Nummer zehn, elf, zwölf, die anderen sind absolut tadellos. Besonders innen ist alles bestens, sieht man einmal davon ab, daß einige Fotos bräunliche Verfärbungen aufweisen, was aber nur daran liegt, daß sie nicht ordentlich ausentwickelt wurden und deshalb die Chemikalien immer noch arbeiten können. Was das betrifft, so wäre es beispielsweise technisch möglich, die Fotos alle abzulösen und noch mal gründlich nachzuwässern, nichts spricht dagegen. Zwar würden sich die bereits verfärbten Bilder nicht bessern lassen dadurch, die anderen aber bekämen solche Verfärbungen dann mit Sicherheit nicht mehr.

Das alles in Erwägung ziehend, möchte man fast vermuten, daß der Fotograf kein guter Fotograf war und sicher auch kein guter Architekt. Sähen sonst die Bilder so aus? Liebevoll fotografierte Motive, auf Agfa-Brovira-Papier, großformatig, auf Bütten gezogen, und das alles mit schlampig gewässerten Abzügen. Ein guter Fotograf und Architekt hätte die Arbeit einem Fachmann übertragen. Wozu all die schönen Schachteln beim Buchbinder bestellen, wenn in ihnen die Fotos sich weiterentwickeln bis zur Unkenntlichkeit hin. Die großen Bilder von den großen Reisen. Wahrscheinlich war er genauso wie seine Fotos und Schachteln.

Gerechterweise muß aber gesagt werden, daß die Schachteln, dadurch, daß sie so stabil sind und sich problemlos stapeln lassen, an sich relativ wenig Platz wegnehmen. Sie haben sogar eine gewisse Schönheit, wirken auf den ersten Blick wie ein grüngrauer Marmorblock. Er kann auch als Tischchen dienen, zugleich enthält er Kästen, Kartons und Fotografien. Von welchen Tischen kann man das schon sagen. Und was mich noch so für die Schachteln einnimmt, ist diese mit Leinen verstärkte Vorrichtung zum Runterklappen, die kleine Schlaufe zum Herausziehen. Wäre sie nicht vorhanden, könnte es leicht dazu kommen, daß man die Bilder beim Herausnehmen knickt oder zerkratzt. Andererseits fällt dieser Vorteil bei seltenem Herausnehmen gar nicht so ins Gewicht.

Dafür, die Schachteln aufzuheben, spricht auch noch der Zufall, dem ich sie verdanke. Ich fühle mich dem Fundstück gegenüber zur Fairneß verpflichtet. Und nur, weil ein mir fremder, unsympathisch aussehender und sicherlich bereits verstorbener Architekt mir diese Scherereien macht, muß sein Tod ja nicht zwangsläufig auch das Ende seiner Schachteln bedeuten. Oder, vielleicht brachten ihn die Erben in ein Pflegeheim, wo er nun sitzt, vor sich hin speichelt und nichts mehr von Paris, New York oder mecklenburgischen Herrensitzen, geschweige denn von Fotos und Schachteln weiß?

Wie auch immer. Wenn ich rechne, wieviel Zeit mich diese Schachteln schon gekostet haben, muß ich mir sagen: Alles hat seine Grenzen! Bevor ich mich aber endgültig von der Notwendigkeit des Wegwerfens überzeugen lasse, will ich die Bilder noch einmal anschauen. Vielleicht lohnt es sich ja doch, sie zu behalten?

Da ist zum einen die Amerika- Reise. 1936, wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte, brach Herr Firle auf nach Bremen. Dort, fotografierte er das leicht angelehnte Hotelfenster, in dem sich die Türme des St.-Petri-Domes widerspiegelten. Der Rahmen des Fensters ist dunkel lackiert, die grobmaschige Gardine hängt leicht heraus. Es folgen Bilder vom Schiff, auf der Gangway steht: „Norddeutscher Lloyd Bremen“. Das Schiff heißt „Bremen“ und wird Herrn Firle, und wahrscheinlich auch einige Emigranten, nach Amerika bringen. Es gibt eine Aufnahme, die zeigt, wie die riesigen schwarzen Überseekoffer der Reisenden an Deck gebracht werden. Weißgekleidete Matrosen hantieren mit Netzen und Tauen, auf den Koffern sind Hotelaufkleber aus aller Welt zu sehen. Weiter unten an der Reeling drängen sich modisch gekleidete Damen und Herren und halten ihre Hüte fest. Der Architekt hat auch seine Kabine fotografiert. Oberdeck, Einzelbett, auf dem Sekretär liegen akribisch aufgereiht Bücher, Schreibzeug, Papiere. Über einem Bügel an der Wand hängt, seltsam intim, ein gutes Dutzend Krawatten eng beieinander.

In New York angekommen, scheint der Fotograf von einem eindrucksvollen Gebäude zum nächsten getaumelt zu sein. Es gibt viele Aufnahmen von Wahrzeichen und Szenerien, die man alle schon hundertmal gesehen hat, aber auch merkwürdig unaufdringliche Bilder, bei denen er sich weit zurückgezogen hat von seinem Motiv. Hoch oben, aus einem Wolkenkratzer gebeugt, hat er seine Leica vors Auge gehalten und hinunterfotografiert, daß einem jetzt noch leicht schwindlig wird. Unten liegt die 5th Avenue im vollen Licht der Sonne. Keine der Ameisen und Spielzeugautos wirft einen sichtbaren Schatten. Ein anderes Foto zeigt eine finstere Straßenschlucht zwischen den Hochhäusern. Vorn rechts verläßt gerade ein Sandwichman die Szene, er wirbt für ein Fotostudio, das auf Paßbilder spezialisiert ist. Vom Hintergrund her nähert sich eine Gruppe nobel gekleideter Herren, sie heben sich umrißhaft ab vor dem gleißenden Licht, das von einer Seitenstraße her einfällt. Dann hat sich Herr Firle wohl in ein Taxi gesetzt. Hat sich herumfahren lassen und fotografiert, auch in der Lower East Side. Zwei alte orthodoxe Juden blicken mißbilligend ins Objektiv, das sich vom Autofenster heraus auf sie richtet. Es werden triste Ecken unter der Hochbahn fotografiert, Zeitungsverkäufer, die gerade ausschwärmen mit den druckfrischen Neuigkeiten, verwitterte Häuserzeilen, ein altes Backsteingebäude mit Feuertreppe, auf dessen Fassade in großen Lettern steht: „BE SURE YOUR GOD WILL FIND YOU OUT“ und in Leuchtschrift „GOSPEL MISSION“. Vor dem Gebäude ist das Kopfsteinpflaster aufgerissen, die New Yorker Telefongesellschaft verlegt Kabel.

Es gibt aber auch Bilder von typisch amerikanischen Vorort- Häusern aus Stein oder Holz, ohne Zaun und Mauer, von Siedlungshäusern und Amtsgebäuden in der Provinz. Wenn man bedenkt, daß derweil zu Hause die architektonische Ästhetik vom Speerschen Zeppelinfeld in Nürnberg oder vom Sagebielschen Reichsluftfahrtministerium verbindlicher Stil für öffentliche Gebäudeplanung war, muß das Herrn Firle ja unentwegt präsent gewesen sein. Vielleicht auch deshalb dieses Interesse an Siedlungshäusern, denn dafür standen ja massenhaft Aufträge in Aussicht. Jedenfalls hat der Architekt, zusammen mit anderen Architekten, eine Busfahrt über Land unternommen, um ein Siedlungsmodell zu besichtigen, das offenbar von klösterlichen oder europäisch-sozialistischen Traditionen inspiriert war, davon zeugen die Bilder von Gemeinschaftsküchen und -waschhäusern, umgeben von schönen, funktionalen Einfamilienhäusern in einer parkartigen Landschaft. Nach der Besichtigung haben die Herren sich gegenseitig scherzend fotografiert.

Merkwürdig ist, daß in der gesamten Amerika-Serie, die immerhin den Hauptteil der Fotosammlung ausmacht, kein einziger Schwarzer im Bild festgehalten wurde. Ob der Grund Furcht oder Verachtung war, läßt sich nicht ausmachen.

1937 war Herr Firle in Frankreich, besonders auf der Pariser Weltausstellung. Etwas irritierend ist ein immer wiederkehrendes Motiv aus kaum voneinander abweichenden Blickwinkeln: der „Deutsche Pavillon“. Schräg über die Seine hinweg fotografiert, hebt sich der über 50 Meter hohe wuchtige Turm, mit dem dräuenden Adler auf der Spitze, vor einem dramatisch bewölkten Himmel ab. Gegenüberliegend und aus dieser Perspektive geradezu zierlich wirkend, der „Russische Pavillon“, mit einem haushohen, Hammer und Sichel hochhaltendem Paar auf dem Dach. Der düstere Speersche Monumentalbau, werksteinverkleidet, anmaßend, wirkt wie ein Mausoleum. Wie in dick aufgetragener Symbolhaftigkeit schob sich just im Moment dieser Aufnahme eine schwarze Barke ins Bild und glitt durch die glitzernden Wellen vorbei.

Es gibt Angler an den Brücken, Monsignores, die einen Stadtplan studieren und seltsame Schatten werfen, Bilder eines melancholischen Pariser Herbstnachmittags, zwei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. 1937 wurde auch das Bild mit dem Herrn im englischen Park gemacht, wir wissen bereits, es ist Herr Loeffler mit Billy, vor einem gewaltigen Schloß, das aussieht wie Schloß Windsor von hinten. Er steht also da, mit erhobenem Zeigefinger, aus den Schornsteinen steigt dünner Rauch auf, die hinteren Flügel des Schlosses verschwinden sacht im Nebel. Herrn Loefflers schwarzer Hut mit der Delle befindet sich perspektivisch genau an der richtigen Stelle im Bild, würde er etwas oberhalb der Fassade vor freiem Himmel schweben, das Ensemble wäre in sich zerfallen. Davon abgesehen fragt man sich natürlich, weshalb Herr Loeffler seinen Billy in Schloß Windsor „Gassi“ führt, wer ist Herr Loeffler?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen