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■ Die Russische Föderation und JelzinKein Grund zum Weichwerden

Alles wie gehabt. Präsident Jelzin führt unverdrossen seine Staatsgeschäfte, Rußland ist seit letztem Dienstag nicht zerborsten, und die Abgeordneten im aufgelösten Parlament schwadronieren vom Endsieg. Die Bevölkerung tut so, als wäre gar nichts geschehen, während ausländische Beobachter penibelst Fallstricke suchen, die Jelzin doch noch das Genick brechen könnten. Man goutiert das Chaos und betreibt selbst Politik. Früher war das eine Eigenschaft des homo sovieticus. Heute fehlt ihm dazu die Muße, weil er in der Wirklichkeit lebt.

In Petersburg trafen sich am Wochenende Vertreter der örtlichen Sowjets und einige Vorsitzende der regionalen Exekutive. Von den 88 Subjekten der Föderation mit Sonderstatus waren ganze 8 Exekutivbeamte erschienen und 39 Vertreter der legislativen Gewalt. Sie drängen den Präsidenten zum Kompromiß, Parlaments- und Präsidentenwahlen gemeinsam abzuhalten. Was wird, wenn er sich nicht darauf einläßt? Ist dies das Ende der Russischen Föderation – endlich –, deren Abgang man seit dem Untergang der UdSSR voraussagt? Im Gegenteil.

Vieles hängt in Rußland vom Willen der Regionen ab. Werden sie ihren Zehnten ans Zentrum zahlen oder nicht? Womöglich Lieferverträge nicht einhalten? Gründe gibt es für die Föderationssubjekte genug, Moskau gegenüber mißtrauisch zu sein und es auch zu bleiben. Das gefräßige Zentrum hat es mit ihnen nie wirklich gut gemeint. Brosamen fielen ab für die, die die harte Arbeit leisteten. Konsequent schlossen sich Regionen zusammen und proklamierten ihre Selbständigkeit – meist mit Blick auf eine gerechtere Verteilung ihres Reichtums. Regionaler Egoismus herrscht in Europa überall. Nur für Rußland – Moskau selbstredend ausgenommen – ist das eine neue Erfahrung. Und sie ist selbstheilend. Dezentralisierung und Föderalisierung sind jene Momente, die Rußland auf längere Sicht stärken.

Es gehört zu den Binsenweisheiten, daß die Geschichte hinter dem Rücken ihrer Akteure andere als die intendierten Resultate hervorbringt. Das Schachern der Provinzfürsten, wem sie in Moskau ihre Gunst auf die Schale legen, mag von außen bedrohlich aussehen, ihre Kleinkariertheit angesichts des „historischen“ Augenblicks gar beschämend sein. Und ihre Hintertriebenheit: Natürlich wünschen sie in Moskau einen Herrscher von ihren Gnaden. Die deutsche Reichsversammlung kann ihnen da als Vorbild dienen. Man wählte immer den Schwächsten zum König.

Schon jetzt betreiben sie Wahlkampf. Leute wie Jawlinski, Schachrai oder Skokow wollen sie auf ihre Fahnen heben. Und dennoch bedeutet das keine Gefahr für das Land. Denn sie wissen genau, wie weit sie das Spiel treiben können. Mit den Reaktionären haben sie überhaupt nichts am Hut. Die würden ihnen nämlich gleich den Strick um den Hals legen. Aber in ihre Taktik passen sie dennoch. Sie werden ihre Trümpfe noch ein wenig reizen. Doch dann ist erst mal Schluß. Wenn Jelzin sich auf vorgezogene Wahlen einläßt, dann weil es ihm geraten scheint. Je früher, desto besser für ihn. Daran gibt es keinen Zweifel. Seine Terminierung bestimmte schließlich nur die Staatsraison: einer müßte die Wacht halten. Klaus-Helge Donath, Moskau

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