Sanssouci: Vorschlag
■ The Fall im Loft
Die Band der Achtziger mit dem Mann der Achtziger. Dabei waren sie ganz und gar nicht wie die Achtziger, eher Antipoden – aber deshalb zur negativen Definition des Jahrzehnts unverzichtbar. An Themen und Humor war alles möglich – nur nicht der Humor von Mark E. Smith. So wie eine Gesellschaft ihre Verbrecher und Verrückten wegschließt, um sagen zu können „Wir wissen nicht, wie wir sind, aber so sind wir nicht“, brauchte die Popwelt The Fall, um sagen zu können „Die spielen zwar auch Pop, aber nicht wie wir.“
Jedem war klar im ausgehenden Jahrzehnt, daß The Fall gebraucht wurden, aber nicht allzu viele hörten ihre Musik. Man traf sich gerne auf ihren Konzerten, zeigte, daß man auch nicht zur Masse gehörte, und zu Hause staubte das zugehörige Vinyl im Schrank ein (wenn es das nicht gleich im Laden tat). Diesen Umstand offenbarten auch die Spex- Leser, die selbsterwählte Avantgarde der Musikhörerschaft: Beim alljährlichen Poll kamen The Fall in den vordersten Rängen bei den „Besten Bands“, mal als Zweite, mal als Fünfte oder Sechste; plaziert waren sie immer, doch die jeweiligen LPs landeten nie in den Top Ten. Im Jahre 1986 waren sie nach Meinung der Spex-Leser gar die allerbeste Band von allen, doch „This Nation's Saving Grace“ nur die zehnte LP ihres Jahrgangs. Nummer eins damals übrigens Prefab Sprout. Womit wir wieder beim Pop angelangt wären, der weiterhin süß klang und nett und hier rein- und da wieder rausging. Während sich Mark E. Smiths Sprechgesang im Ohr einhakte und nicht mehr rauswollte. Was manche wenige gut fanden und die meisten anderen nervtötend. Verstanden – rein textlich – dürften ihn sowieso nur die wenigsten haben, denn zu nasal die Artikulation, zu englisch die Geschichten und zu speziell und fast tagespolitisch die Anspielungen. So hieß es immer genauso pauschal wie treffend: „Smith schreibt das Tagebuch einer Generation.“ Und Tagebücher sind bekanntlich sehr persönlich. The Fall haben einige großartige Platten gemacht, doch so richtig bejubelt wurden sie nur, wenn sie fast Pop waren, wenn sie den schmalen Grat gefunden hatten zwischen Eingängigkeit und Aufbrechen der Klischees, so wie auf „I Am Kurious Oranj“. Da näherte sich das Abbild in den Köpfen der Menschen von der Wichtigkeit dieser Band zumindest ein wenig dem, was bei Musik so viel wichtiger und nicht zu erklären ist: dem Gefühl. Dann fand auch der Kopfmensch Smith einen Weg in die Herzen seiner Zuhörer. Auch wenn er nur sehr berechnend integrierte, wozu das Publikum gerade tanzte, ob nun Rave oder zuletzt House. Denn wie Smith von sich selbst sagte: eigentlich ist er unmusikalisch. Eigentlich liest er nur vor aus einem Tagebuch. Seinem Tagebuch. Thomas Winkler
Am 3.10. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
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