■ Zwei Jäger auf der Suche nach dem „Hitler-Schatz“: Geld, Macht und Stolpersteine
Prag (taz) – Was treibt den Menschen schon vor dem Tod unter die Erde? Herr Mužik sagt: „Ein Schatz, und ich werde ihn finden.“ Herr Gaensel sagt: „Ein Schatz, und ich bin derjenige, der ihn findet.“ Die Geschichte eines Schatzes ist also auch immer die Geschichte seiner Jäger. Dies ist die Geschichte zweier Jäger: eine Episode über Geld, Macht und Stolpersteine, über ein Kopf-an- Kopf-Rennen des Tschechen Josef Mužik und des Deutschamerikaners Helmut Gaensel. Im böhmischen Hradištko wähnen sie die dickste Beute der Nachkriegszeit.
Mužik wohnt mit einigen Männern seit zwei Jahren in einem Lager. Über den Zelten flackert eine Fahne. In einem Unimog langweilen sich ein paar muskelbepackte Naturburschen. Zaungäste und Besucher werden von einer zähnefletschenden Bestie begrüßt. „Seit 50 Jahren wird das Bernsteinzimmer aus Petersburg gesucht“, sagt Mužik, „hier ist es begraben, mit Gold und Gemälden.“ Der spindeldürre Mann in Militärkluft ist sich da ziemlich sicher. „Ich kenne Zeugen, die das Material hierhertransportiert haben.“ An drei Stellen müsse er graben, verrät er.
Gaensel hat sich das Hotel Mandát an der Moldau gemietet. In dem weißen Palast lebt er seit einigen Monaten mit verschiedenen Experten. Seine Recherchen begann der topgestylte Endfuffziger bereits 1962: Im Prager Gefängnis lernte er General Emil Klein kennen, den Mann, der während des Krieges die SS-Pionierschule in Hradištko leitete. „Ich war lange mit Klein befreundet“, sagt Gaensel vertrauensselig, „seine Aussagen über den Schatz decken sich genau mit denen anderer Zeugen.“ Demnach sitzen in unterirdischen Stollen „540 Kisten, 86 davon mit Gold und Juwelen, 130 mit Dokumenten des Kaiser-Wilhelm-Instituts“. Gaensel sagt: „Ich weiß genau, wo der Schatz liegt. Alle anderen haben keine Ahnung.“
Natürlich ist auch die Neugier der Öffentlichkeit mittlerweile hellwach. Inzwischen kreisen die ersten Kamerateams mit Helikoptern über das Gelände um Hradištko. Zu sehen gibt es allerdings nichts. Im Gegenteil. Gaensel kann nicht graben, weil sein vor der Teilung der ČSFR abgeschlossener Vertrag mit dem Bezirksamt Prag-West widerrufen wurde. Seine Widersacher sagen, der Millionär habe sich das Schnippchen selbst geschlagen, um Zeit zu gewinnen. Der Schatz soll nämlich auch Geheimcodes zu Konten Schweizer Banken enthalten. Erst 1995 werden die Ansprüche der rechtmäßigen Kontoinhaber verjähren. Bis dahin sind die Banken verpflichtet, die vermeintlichen Millionenbeträge auszuzahlen.
Gaensel selbst behauptet dagegen, daß Mužik gegen ihn intrigiert habe: Dieser soll den Bürgermeister Hradištkos wachgerüttelt und bei Unterstützung mit Gewinnanteilen für die Gemeinde gelockt haben.
Gaensel hätte eigentlich guten Grund, allmählich kalte Füße zu bekommen. Zu Anfang hat er 400.000 Kronen allein für Rechtsanwälte berappt. Insgesamt mußte er für den Buddelspaß bereits eine Million US-Dollar hinblättern. „Ich habe Geologen aus den Staaten einfliegen lassen, einige Autos gekauft und drei Monate in einem der teuersten Prager Hotels gewohnt“, der Herr Gaensel hat Geld. Aber wer weiß, wie lange noch. Seine Investmentfirma in Miami mit Gold- und Silberminen hat er bereits verscherbelt.
Wegen der Explosionsgefahr zahlreicher Blindgänger aus dem Krieg kann nur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen gebuddelt werden. Die zwei Schatzjäger warten nun auf eine Entscheidung der tschechischen Regierung. „Wenn ich die Genehmigung fürs Graben bekomme, ist der Schatz innerhalb einer Woche an der Luft“, behauptet Mužik, der bereits aus eigener Tasche zwei Millionen Kronen lockergemacht hat.
Da Mužik, wie Gaensel vermutet, „den nächsten Winter mangels Gelds nicht überleben wird“, bot dieser seinem Kombattanten gestern über die Medien an, für sämtliche Grabungen zu zahlen. „Damit werde ich beweisen, daß Mužik von dem Schatz überhaupt nichts weiß“, sagt Gaensel und grinst dabei hämisch. Zudem gehe Montag eine Klage vors Gericht. „Die Annullierung des Vertrages muß 100.000 Dollar Schadenersatz einbringen. Einer muß in diesem Land ja Verstand bekommen.“
Und noch ein Faustpfand hat sich Gaensel gesichert: 46 Hektar Land hat er um Hradištko für zehn Jahre gepachtet. Falls die tschechische Regierung Mužik grünes Licht für die Ausgrabungen erteilt, kann Herr Gaensel einwenden: „Auf meinem Grund gräbst du nicht.“ Nicht zuletzt hat sich der Miami-Mann bereits einige Ladungen Zäune aus Holland kommen lassen. Sicher ist sicher.
Was jedoch, wenn die ganze Geschichte eine Finte ist? Werden dann flugs neue Tagebücher geschrieben, in deren Verfilmung Herr Schimanski die Hauptrolle übernimmt?
Nur etwa zehn Prozent des erwähnten Schatzes könnte sich Gaensel oder Mužik in die eigene Tasche stecken. Gaensel glaubt jedoch, daß SS-Führer Klein die Beweise für den Schatz noch einem Rechtsanwalt in München gegeben hat. „Es könnte jedoch sein, daß die nicht vor meinem Tod veröffentlicht werden“, sagt Gaensel. Schon vor einige Wochen frohlockte er: „Helmut Gaensel wird den Hitler-Schatz finden.“ Tomas Niederberghaus
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