: Ausländerbehörde klärt nicht über Rechte auf
■ Trotz Möglichkeit zur Einzelfallprüfung wird Flüchtlingen am Waterloo-Ufer Ausreiseverpflichtung in Paß gestempelt
Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien, die bei der Ausländerbehörde am Waterloo-Ufer vorsprechen müssen, werden häufig nicht über ihre Rechte aufgeklärt. Das ergaben Recherchen der taz bei der Massenabfertigung am Waterloo-Ufer, wo jeden Morgen von sieben bis 13 Uhr, fünfmal in der Woche, Dutzende, manchmal Hunderte von Flüchtlingen aus „Rest-Jugoslawien“ stundenlang auf ihre Abfertigung warten. Etwa 18.000 Kriegsflüchtlinge leben in Berlin. Sie müssen nach und nach ihren Aufenthaltsstatus überprüfen lassen.
Für Tausende dieser Flüchtlinge bedeutet aber der Gang zur Ausländerbehörde den ersten Schritt in die Abschiebung. Denn die bis zum Sommer geübte großzügige Regelung für Flüchtlinge aus Kroatien und Serbien ist seit dem 28. Juli abgeschafft. Eine pauschale Verlängerung der Duldung erhalten seither nur Menschen mit einem bosnischen Paß. Alle anderen müssen nach Ablauf ihrer befristeten Duldungen mit einer Abschiebung rechnen.
Der Senat hatte diese harte pauschale Regelung für Nichtbosnier durch eine Zusatzweisung abgemildert. In dieser heißt es, daß jeder von Abschiebung bedrohte Flüchtling aus Ex-Jugoslawien auf Antrag seinen Fall einzeln prüfen lassen kann. Eine aussichtsreiche Chance, hierzubleiben, hätten nach dieser „Einzelfallprüfung“ Deserteure aus Kroatien und Serbien, Albaner aus dem Kosovo, Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten in den Republiken und vergewaltigte Frauen.
In der Praxis allerdings werden die Flüchtlinge über die Möglichkeit, einen Antrag auf Einzelfallprüfung zu stellen, nicht informiert. Die Beamten hören den Flüchtlingen weder zu, noch übersetzt der serbische Dolmetscher eventuell gegebene Informationen. Den Flüchtlingen wird unterschiedslos eine Ausreiseaufforderung in den Paß und eine „freiwillige Grenzübertrittsbescheinigung“ in die Hand gedrückt. Damit erhalten sie die Aufforderung zur Ausreise und die Androhung einer Abschiebung. Eine Umfrage unter Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, die alle erst kürzlich nach Berlin kamen, ergab, daß keiner von ihnen etwas über Anträge auf Einzelfallprüfung wußte. Die Massenabfertigung am Waterloo-Ufer kritisierte kürzlich auch der Flüchtlingsrat Berlin in einem offenenen Brief an den Innensenator. In keinem einzigen Fall, so schrieben sie, sei bei der Ausländerbehörde geprüft worden, ob die Flüchtlinge ohne Gefährung zurückkehren können. „Unterschiedlos und ohne vorherige Erklärung“ werde Flüchtlingen aus Mazedonien, Montenegro, dem Kosovo, aus Serbien stammenden Muslimen und Roma, Deserteuren, Bosniern mit serbischem Paß „nach zwölfstündiger Wartezeit wortlos eine Ausreiseverpflichtung in den Stempel gedrückt“. Sogar dann, wenn Flüchtlinge mit einem schriftlichen Antrag auf weitere Duldung und mit einer ausführlichen Darlegung ihres Fall bei der Behörde vorsprechen. Die von Armin Jäger am 17.August verkündeten Versprechungen auf Einzelfallprüfung bilanzierte Flüchtlingsratssprecherin Frauke Hoyer, „sei entweder wider besseres Wissen oder aber in völliger Unkenntnis der Sachlage zur Beruhigung der Gemüter abgegeben“ worden. aku/taz
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