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■ Sind Sie heute abend einsam? Das muß nicht sein:Lockruf der Partylöwen

Berlin (taz) – Wer kennt folgende Situation nicht: Es ist Samstag abend in einer großen Stadt, und man weiß nicht wohin. Gedankenverloren hockt man am Küchentisch und wartet, daß etwas passiert, während das Radio im Hintergrund Party-Stimmung verbreitet... Weil es heutzutage immer mehr Menschen so geht, haben freundliche Radiosender eine neue Form der Freizeit-Vermittlung entwickelt. Mit Sendungen, die so vielversprechende Namen haben wie „Party-Time“, „Wer mit wem?“ oder so ähnlich bringen sie uns vereinsamte Hörer auf Trab. Sie laufen zur besten Sendezeit und sollen helfen, die immer höheren Gefängnismauern unserer eigenen vier Wände wenigstens ab und an zu überwinden. Ein Anruf genügt, und der Abend ist gerettet. Wie schon so oft lockte der Moderator auch heute abend: „Bei Helmut ist heute abend Party. Wer Lust hat mitzufeiern, wählt die... Viel Spaß!“ – Doch Hand aufs Herz: Wer gibt schon gerne zu, daß er mit sich nichts anzufangen weiß, sich langweilt oder gar einsam ist? Ungezählte Abende schon verbrachte ich mit tristen Gedanken am Radio und lauschte durch den wachsenden Turm leerer Biedosen den Lockrufen der Feten. An diesem Abend sollte alles anders werden. „Radio Energy“ sei Dank, höre ich vom anderen Ende der Stadt: „Alexandra hat heute Geburstag. 15 Freunde haben sie hängenlassen. Da sie nicht alleine feiern will, lädt sie Euch heute abend zu sich ein. Ruft an bei ihr in Spandau, Telefon...“ Arme Alexandra, da kann geholfen werden. Aus alter Gewohnheit notiere ich die Nummer... Der Teufel muß mich reiten, als ich wenige Sekunden später den Telefonhörer in der Hand halte. „Heute oder nie“, denke ich. Vor meinen Augen läuft wieder der wohlbekannte Film ab, den ich nie zu Ende sah: Ein rauschendes Fest, wogende, schwitzende Menschenleiber, lachende Gesichter voller Lebensfreude, Tanz bis ins Morgengrauen, Erwachen neben einem Menschen, von dem man nie zu träumen wagte...

50 Minuten später stehe ich vor einem nichtssagenden Mehrfamilienhaus und lausche in die schweigsame Nacht. Kein Partylärm? Na, das kann ja noch werden. Ich klingele erwartungsfroh. Einmal. Zweimal. Ein drittes Mal. Keine Reaktion. Habe ich etwa was falsch verstanden?

Weitere zehn Minuten später sind wir immerhin schon zu acht. Alexandra ist nicht darunter. Sie hat wohl panikartig ihre Wohnung verlassen angesichts der sich ankündigenden Menschenmassen. Zusammen haben wir zwei Flaschen Sekt und eine Tafel Schokolade. Zu wenig zum Feiern, zu viel zum Gehen. Gehen? Aufgeben so kurz vor dem Ziel? Ihre freundliche Stimme auf dem Anrufbeantworter verrät uns Offensichtliches: „Ich bin leider nicht zu Hause...“ Alexandra! Wie konntest Du uns das antun? Wir sind verzweifelt. Dann die rettende Idee: „Radio Energy“ anrufen, in Berlin gibt's schließlich mehr als eine Party an einem lauen Samstag abend. Und tatsächlich: „In Lichtenhagen-Süd läuft gerade eine Beach-Party“, verrät uns eine Redakteurin und freut sich, uns mit einer Telefonnummer den Abend retten zu können. Die Hoffnung währt jedoch nicht sonderlich lange. Am anderen Ende der Leitung nimmt nämlich niemand ab. Ich habe keinen Bock mehr. Eine gute Stunde später sitze ich am Küchentisch und öffne die längst nicht letzte Dose Bier. „Die Stimmung auf Eurer Party geht jetzt dem Höhepunkt entgegen“, verkündet mit sich überschlagender Stimme der „Energy“-Moderator. Ich stelle das Radio ab. In der Nacht träume ich von Alexandras Party. Es ist ein rauschendes Fest, und ich bin mittendrin. Ulrich Jonas

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