: Zum Lachen
■ Für Freunde der Klamotte: „Halbe Wahrheiten“ im Schauspielhaus
Angenommen, ins Schauspielhaus des Bremer Theaters hätte sich zufällig das Publikum aus „Hot Shots — der 2. Versuch“ verirrt, also Kenner der puren Klamotte: Sie wären bei der Premiere von Alan Ayckbourns „Halbe Wahrheiten“ nicht nur auf ihre Kosten gekommen. Dem Premierenpublikum aber fiels es am Wochenende schwer, einmal unkontrolliert und lauthals über die Kette von Mißverständnissen zu lachen, die hier ein altes und ein junges Paar bei ihrer Begegnung am laufenden Band produzieren.
All das im heißen Sommer 1967, der Autor Ayckbourn den Durchbruch brachte. Eine spärlich möblierte Bude in London, ganz im Sperrholz-Schick der Sixties (Bühne: Cora Steinbock). Apfelsinenkisten als Regale und Teetisch, ein Foto von Keith Richards auf dem Fußboden. Zu alledem erklingt die Musik von Lovin' Spoonful („Summer In The City") und der Beatles („Seargant Pepper"). Hier teilt Greg (gespielt von Dirk Plönissen) seit vier Wochen das Bett mit Ginny (Justina delCorte). Greg schickt sich gerade an, das Bett zu verlassen, als er darunter ein Paar fremder Pantoffeln entdeckt. Mißtrauisch geworden, sieht er sich plötzlich von Spuren eines Nebenbuhlers umstellt, findet Pralinen, merkürdige Anrufe und eine Adresse auf Ginnys Zigarettenschachtel.
Die eigentliche Komödie beginnt, als Greg und Ginny im üppig begrünten Vorstadtgarten von Philip (Fried Gärtner) und Sheila (Nancy Illig) auftauchen, einem alternden Egepaar aus der upper middleclass, das sich die Langeweile am tristen Sonntagvormittag mit dem Verschießen von Giftpfeilen vertreibt. Fortan geht es munter um Seitenspum alte, geile Böcke, um junge Sekretärinnen, frustrierte Ehefrauen und einen naiven Jüngling.
Mit Gärtner, Plönissen, Illig und delCorte hat Regisseur Tobias Lenel ein Quartett gefunden, das uns leicht und lässig in die köstlichen Niederungen der Klamotte führt. Bei diesen halben Wahrheiten nach Hinter- und Tiefsinn zu forschen, wäre verfehlt. Lenel gibt sich alle Mühe, mehr aus dem Stück herauszuholen, als es eigentlich enthält. Das tut dem leichten komödiantischen Charakter nicht immer gut; es bremst die Spielfreude der beiden Frauen, dieso gelegentlich den Eindruck machen, als wollten sie der Klamotte mit ihren kleinen Anzüglichkeiten am liebsten davonlaufen. Dabei macht erst die heftig überdrehte Komik sichtbar: Im kleinbürgerlichen Beziehungsclinch von Alan Ayckbourn gibt es kein Happy- End. Sein Panoptikum trauriger Provinzfiguren zeigt keine aussterbende Gattung, sonst würde nicht immer wieder über ein neues Stück des Autors gelacht werden. Die wahren Kenner und Genießer (s.o.) müssen schleunigst ihren Weg ins Bremer Theater finden. Hans Happel
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