Sanssouci: Vorschlag
■ „Elisabeth Eins“ von der Jugendtheaterwerkstatt Charlottenburg
Daß die einzige echte Jugendtheaterwerkstatt der Stadt Berlin nur aus Mädchen besteht, ist Zufall: Die Jungen hatten nicht die rechte Spielfreude oder Ausdauer, einer nach dem anderen blieb weg. Doch ob geplant oder nicht, bei den zehn zwischen 15 und 18 Jahre alten Mädchen wird der Mangel zur Qualität: Sie schnallen sich wohlgeformte männliche Geschlechtsteile um die Hüften, und fortan wird mit viel Verve geliebt, Krieg gemacht und intrigiert.
Gespielt wird „Elisabeth Eins“ von Paul Forster, eine Liebeserklärung an das elisabethanische Theater der Shakespeare-Zeit. Eine Gauklertruppe spielt das Leben der Königin nach. Vor allem der barocken „Die Welt als Bühne“-Metapher gewinnen die Mädchen dabei einiges ab, bringen die Zeiten ebenso durcheinander wie die Ebenen, indem sie die Probensituation der Gauklertruppe mit den eigenen durchsetzen. Statt höfischem Menuett gibt es einen Twist zu sehen, der sich zur grandiosen Tanzeinlage auswächst: Shakespeare und Rock 'n' Roll, weit charmanter als bei Herrn Kurz und seinem Touristennepp. Der Krieg der spanischen Armada gegen die Schiffe der Queen findet in einer Badewanne statt. Lauter brennende Papierschiffchen segeln durcheinander, derweil sich die Könige und Höflinge über den Bottich beugen und das Geschehen eifrig kommentieren.
Aber nicht nur die komödiantischen Seiten von Gewalt und Herrschaft werden vorgeführt. In einem selbstgeschnittenen Videofilm stellt die Gruppe Bilder von brennenden Asylbewerberheimen gegen alte Filmaufnahmen der Nazizeit — ein oft benutztes und inzwischen völlig abgedroschenes Mittel, sicher, aber im Spiel der Jugendlichen erhält es durch die Ehrlichkeit, mit der es verwendet wird, eine eigene Qualität.
Mit einem Theaterworkshop hat Reimar Brahms vor zwei Jahren im Haus der Jugend in Charlottenburg begonnen, inzwischen ist daraus eine vom Senat geförderte Jugendtheaterwerkstatt geworden. Neben der Jugendtheaterwerkstatt Spandau, deren Jugendliche sich mittlerweile zu Erwachsenen gemausert haben, ist es die einzige der Stadt. Eine erfreuliche Entscheidung trotz des mageren Finanzsäckels des Kultursenats, nicht nur weil die Auseinandersetzung mit Herrschaft und Krieg, mit weiblichen Leitfiguren, mit Literatur und Geschichte „pädagogisch wertvoll“ ist. Zu sehen war eine Inszenierung, von der so manche Off-Theatergruppe nur träumen kann.
Im Dezember wird sich die Gruppe ein Wochenende lang mit dem „Theater der Erfahrung“ sowie der Behindertentheatergruppe „Rambazamba“ vom Sonnenuhr e.V. zusammentun. Ein Experiment, dessen Früchte des abends der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Michaela Schlagenwerth
Noch heute um 19 Uhr im Haus der Jugend Charlottenburg, Zillestraße 54–62
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen