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Was sagt Mutter dazu?

Off-Oper: Der „Fall des Hauses Usher“ im Hebbel-Theater und die „Falschen Fuffziger“ in Neukölln  ■ Von Eleonore Büning

Die alten Werte wackeln, vertraute Wahrheiten gehen über Bord. Zum Beispiel der bewährte Standardsatz: Oper sei, ähnlich dem Kino, ein Kraftwerk der Gefühle. Oder jenes andere: Kunst ist nolens volens politisch. Überall fangen die Leute heute wieder bei Null an und kümmern sich nicht mehr um das eigne dumme Geschwätz von gestern. Ja, sogar in der gemütlichen alternativen Ex- Westberliner Offtheater-Szene wächst jetzt sichtbar auseinander, was nie zusammengehört hat.

Nichts könnte beispielsweise verschiedener sein als die beiden neuesten Produktionen in einerseits der Neuköllner Oper (NKO) und andererseits der Berliner Kammeroper (BKO). Die NKO wirft, und zwar klirrend klar kabarettistisch, einen bösen Blick in die Abgründe der U-Musik, da, wo sie am niedrigsten war – in der BKO dagegen wallen derzeit reichlich mystische Trockeneisnebel, wie sie eigentlich nur in der ganz dünnen Luft hoch oben auf der Sturmhöhe des l'art pour l'art vorkommen.

Aber laßt uns oben anfangen: Bei dem Werk, in dem es gar so grauslig raunt und wabert, handelt es sich um eine Berliner Erstaufführung: um die vor fünf Jahren in Camridge uraufgeführte Kammeroper „Der Fall des Hauses Usher“ nämlich, komponiert von Philip Glass frei nach Edgar Allan Poe. Zunächst wimmert es da natürlich zünftig und Glass-gemäß aus dem kleinen Orchestergraben des Hebbel-Theaters, schrummelgrummelschrummeldigrummel nadeln die Streicher emsig an ihrem Klangteppich. Dazwischen und darüber zwitschern die Bläser ab und zu ein Dideldadeldü, darunter brummt das dumpfdämonische Ostinato von Horn und Perkussion. Diese Sorte Minimal music, so viel ist sicher, ließe sich zweifellos von jedem auch nur halbwegs begabten Musikstudenten bis in alle Ewigkeit weiterstricken, und zwar naht- und mühelos. Sie bringt auch sicherlich den beteiligten Musikern großen Spaß, denn rein musikantisch betrachtet ist Minimal music doch immer recht befriedigend: Sie hat Etüdencharakter. Man darf sich tüchtig tummeln, etwa so, wie es manche Triosonate aus dem italienischen Barock in den nähmaschinenmäßig schnellen Sätzen ermöglicht. Und außerdem hat man noch das gute Gefühl, man hat Avantgardemusik gemacht.

Eine Musik, die, sollte man meinen, auch wohl prächtig passen könnte zu der berühmten schwarzen Novelle von Edgar Allan Poe. Tut sie aber leider nicht. Zwar dünstet aus dem dichten Musikgewebe auch so etwas Ähnliches heraus wie Tristesse oder müde Melancholie. Zwar gespenstert die schöne Madeline (Antje Herzog) mit sehr verführerischen Vokalisen durch die dunkle Szenerie. Aber dennoch gehört dieses Stück ganz offenkundig nicht zu den besseren Werken von Phil Glass. Es ist eine Kurzoper, die Langeweile macht, weil sie pur und lieblos nur Konfektion zu bieten hat und weiter nichts. Sie ist musikalisch evident, sie vermeidet das Paradox, sie hat kein Geheimnis, und sie macht uns ganz und gar keine Gänsehaut. Es fehlt, kurz gesagt, an dem, was bei Poe im Übermaß vorhanden ist und was auch in keiner Oper fehlen dürfte: an Phantasie.

Das hat seltsamerweise sogar auf die Inszenierung abgefärbt. Henry Akina, sonst um Ideen nie verlegen, wartet diesmal mit den ältesten Kamellen auf. Er glaubt, ein Gruselstück wie dieses sei mit ein paar Buckligen, ein paar Zotteligen, ein paar wehenden schwarzen Tüchern, etwas Rotlicht sowie einigen spastischen Zuckungen schon hinreichend ausstaffiert. Was natürlich manchmal tatsächlich funktioniert, zum Beispiel, wenn einer aus der Not eine Tugend macht, wie etwa der genialtriviale B- Picture-Regisseur Roger Corman. Wer Cormans Edgar-Allan-Poe-Filme kennt; wer sich etwa an das furiose Finale, die lodernde Brunst, die berstenden Balken und einstürzenden Fensterbögen in Cormans „Untergang des Hauses Usher“ erinnert und daran, wie der unglaubliche Vincent Price eben diesen Fall allein durch das teuflische Heben einer einzigen Augenbraue zu antizipieren wußte – der muß sich von dieser BKO-Produktion verschaukelt vorkommen: in der zwar von der Rampe herunter üppig die Töne strömen und die Bühnennebel verpuffen und verdampfen, in der das Haus Usher aber am Ende so läppisch abnippelt wie ein alter Kartoffelbovist. Ganz zu schweigen von dem doofen roten Riß, den sich Gabriele Sailer fürs Bühnenbild hat einfallen lassen.

Wie vorzüglich und vergnüglich dagegen die ordinäre populäre Abendunterhaltung in der NKO! Ausverkaufte Festlaune auch noch in der siebenten Vorstellung nach der Premiere – hier können Familien einen ablachen, bis ihnen der Kaffee hochkommt und die Pointe quer im Halse steckenbleibt. So soll das auch sein. Winfried Radeke (Musikarrangement) und Thomas Pigor (Skript) haben eine im wahrsten Sinne des Wortes entsetzlich komisches Pott-Püree angerührt, das zumindest der Bevölkerung im Stadtteil Neukölln, aber auch auswärtigen Besuchern dabei behilflich sein kann, die deutsch- deutsche Nachkriegsvergangenheit ein bißchen besser zu verdauen. Sie treiben mit Entsetzen Scherz. „Die falschen Fuffziger“ heißt das Programm – und der Untertitel bringt Kunst und Politik wieder forsch auf einen Begriff: Es geht um „die Schlager-Revue der Adenauer-Ära“.

Was heißt da: Kunst? Sind die Capri-Fischer und die Eingeborenen von Trizonesien Kunst oder die Beine von Dolores und der Lipsischritt? Ist es Kunst, wenn Musik wie Texte sich auszeichnen durch das „nahezu starrsinnige Festhalten an den simpelsten Klischees“, wie Radeke so treffend schreibt? Oder liegt etwa die wahre Kunst begraben beispielsweise in den saftigen Adenauer- Zitaten, die etwas weiter hinten das Programmheft zieren? Und was heißt da noch: Politik? Fragen über Fragen. Textautor Pigor jedenfalls behauptet, eine politisch wie musikalisch möglichst zufriedenstellende Revue der fünfziger Jahre zu konzipieren, sei eine völlig unmögliche Aufgabe, die ihn hinwiederum vor allem vor „folgende Fragen gestellt habe: 1. Was darf ich weglassen? 2. Was darf ich weglassen? und 3. Was sagt Mutter dazu?“

Mutter ist wie Adenauer und wird gespielt von Margot Rothweiler. Sie singt mit spitzer Stimme, mit der man Glas schneiden könnte, und sie tanzt mit wildem Hüftschwung. Ihr zur Seite singt und tanzt ganz wuhuhuunderbaar das deutsche Fräuleinwunder persönlich (Rose Enskat) sowie ein deutscher Durchschnittsmensch (Ulrich Grawunder) und eine tolle Combo, die alles kann, was Peter Kraus konnte, und noch viel mehr. Auch die Ossis und ihre Schlager kriegen am Rande ihr Fett weg. Auch die Statistik stimmt. Das meistgesungene Wort im deutsch- deutschen Schlager ist weder Herz noch Schmerz, es wird aber an dieser Stelle hier nicht verraten, denn in der NKO-Revue wird es so einmalig schön im Duett besungen, daß jeder sich das unbedingt selbst anhören sollte. Und nehmen Sie Mutter mit! Leider nur noch heute und morgen.

„Die falschen Fuffziger“. Eine Schlager-Revue der Adenauer- Ära in der Neuköllner Oper, nur noch 22./23. Oktober, jeweils 20 Uhr (Karl-Marx-Straße 131-133, 12043 Berlin, Telefon: 687 60 61).

„Der Fall des Hauses Usher“. Oper von Philip Glass nach der Erzählung von Edgar Allan Poe. Musikalische Leitung: Brynmor Llewlyn Jones. Inszenierung: Henry Akina. Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, nur noch am 22. und 23. Oktober, jeweils um 20 Uhr.

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