Zwischen den Rillen: Himmel und Hölle
■ Neues von den Scorpions und Sepultura – ein Traumprotokoll
Ich schlief.
Böser Haupttraum 1: Vancouver, Kanada, ein Hotelzimmer, eine gut gefüllte Hausbar, draußen kein Schnee, drinnen die Scorpions. Sänger Klaus Meine kratzt sich – immer vorsichtig, daß das Ledermützchen nicht verrutscht – an der Schläfe und grummelt: „Alles gut und schön. Wir sind die größte Band des Universums, wir haben mit ,Wind of Change‘ Boris Jelzin erst möglich gemacht; wir machen Werbung gegen Alkohol am Steuer, raten zu Fahrgemeinschaften; ich hab kaum noch Haare, und wir saufen nur die besten Sachen. Aber was wir für unsere neue Platte brauchen, ist ein Hit.“ Gitarrist Rudolf Schenker grinst starr (Bühnenkrankheit), nickt aber trotzdem, um nachdenkliche Zustimmung auszudrücken: „Logo, Klaus.“ Trommler Herman Rarebell, Bassist Ralph Rieckermann und Gitarrist Matthias Jabs nicken auch. Meine fährt fort: „Was wir brauchen, ist Sozialkritik. So im Stile der Benetton-Werbung.“ Schenker: „Logo, Sozialkritik.“ Meine: „Und ich sage euch: Hoffnung, diesmal noch mehr Hoffnung. Nach dem ,Change‘ leben schließlich alle glücklich, zufrieden und quietschfidel unter derselben Sonne.“ Schenker: „Logo, Sonne kommt immer gut.“ Der Rest nickt und schielt schüchtern zur Zimmerbar. Meine: „Das Ganze dann als Ballade. Damit's auffällt zwischen all dem Schweinerock vorher und nachher.“ Schenker grinst noch etwas breiter, die Dauerwelle kräuselt sich in Vorfreude auf die Gitarrenschweinereien: „Logo, Ballade, Klaus.“ Die anderen sehen nur noch starr auf die verschlossene Bar. Meine: „Ich hab da was vorbereitet, heißt ,Under The Same Sun‘. Geht ungefähr so...“ und fängt an zu pfeifen. Schenker: „Logo, mit Pfeifen!“ Meine: „Nein, diesmal nicht; nur, um die Melodie mal anzudeuten.“ Schenker: „Logo, Klaus.“ Die anderen tuscheln. Meine: „Gut, morgen fangen wir an.“ Schenker: „Womit?“ Der Rest: „Gibst Du uns jetzt den Schlüssel?“
Aufgewacht. Ein wenig Leitungswasser trinken gegangen. Wieder hingelegt.
Netter Zwischendurchtraum 1: Die Hölle ist gar nicht so heiß, und sie spielen Sepultura da.
Kurz gegrunzt und umgedreht.
Böser Haupttraum 2: Klaus Meine und Rudolf Schenker klopfen an meine Tür. Schenker grinst breiter, als ich es je vorher gesehen habe. Er nimmt mich in den Polizeigriff, Meine schiebt „Face The Heat“ in den CD-Player. Sein Gesicht mutiert – ungefähr so wie in dem Michael-Jackson-Video – zu Kurt Felix, dann zu Helmut Kohl, zu Mutter Theresa und wieder zu Klaus Meine. Schenker hält mich wie eine Gitarre und schüttelt mich immerzu am Hals. 58 Minuten und 57 Sekunden lang.
Durchnäßt aufgewacht. Noch mehr Leitungswasser. Schlaftablette genommen.
Netter Zwischendurchtraum 2: Treffe in der Hölle vier langhaarige Brasilianer, die sich als Sepultura entpuppen und mit ihrem Job als Hausband ganz zufrieden scheinen. Der Chef hier sei eigentlich ganz nett und möge vor allem kurze abgehackte Gitarren, böses Gegrunze und halbwegs übersichtliche Songstrukturen. Sie gehen mir etwas beim Kohleschaufeln an die Hand und ich erzähle, daß mir von „Chaos A.D.“ vor allem „Kaiowas“ gut gefallen hat, weil es eben so anders ist und erst klar macht, wie hart der Rest ist. Sie fühlen sich geschmeichelt, aber meinen, dem Chef hätte es nicht so gefallen, der würde sich längst nach Nachwuchs umsehen und hielte sie schon für altes Eisen. Ihr Death-Metal sei zu freundlich und sie hätten doch tatsächlich zu viele Melodien. Ich versuche, sie zu trösten und erzähle ihnen von Metallica und dem Erfolg, den sie oben haben. Doch sie bleiben weiter traurig, weil sie eigentlich ganz gerne hierbleiben würden...
Ausgeschlafen. Thomas Winkler
Scorpions: „Face The Heat“, Mercury/ PolyGram.
Sepultura: „Chaos A.D.“, Roadrunner Records.
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